Darf ich Ihnen beifolgenden Aufruf empfehlen, vielleicht sogar zur Weiterverbreitung ! Ob unsre „Geldkräftigen“ gerade Bürgerschwärmer sind, weiß ich nicht, möcht es aber fast vermuten. Wenn die „Lenore“ nicht ausreicht, ist immer noch die „Nachtfeier der Venus“ da.
Mit der Bitte, mich Frau Gemahlin empfehlen zu wollen, in herzlicher Ergebenheit
Th. Fontane
Erläuterungen
Bereits in der ersten Sammlung von Briefen Fontanes an seine Freunde (1910) waren Briefe an Moritz Lazarus zu finden. Später wurden weitere Briefe bekannt. Dennoch sind noch längst nicht alle Briefe Fontanes an Lazarus publiziert. Die Universitätsbibliothek der Humbolgt-Universität zu Berlin, die einen Teil des Lazarus-Nachlasses verwahrt, verfügt noch über eine Reihe von ungedruckten Briefen. Einige, die mehr enthalten als z. B. die bloße Entschuldigung Fontanes, daß er zu einer „Rütli“-Sitzung nicht erscheinen konnte, sollen hier mitgeteilt werden.
Moritz Lazarus (1824—1903), Psychologe und Philosoph, hat zusammen mit Heymann Steinthal (1823—1899) die Völkerpsychologie begründet. Er studierte in Berlin, wirkte von 1860 bis 1866 als Professor in Bern, kehrte 1866 nach Berlin zurück und war hier von 1868 bis 1872 als Professor für Philosophie an der Kriegsakademie tätig. 1873 wurde er zum Honorarprofessor für Philosophie an der Berliner Universität ernannt. 1896 verlegte Lazarus seinen Wohnsitz nach Meran, wo er auch gestorben ist.
Wahrscheinlich hat Fontane Lazarus im „Rütli“ kennengelemt. Dem „Rütli“ hat Lazarus wie Fontane seit 1852, d. h. seit dessen Gründung, angehört. Das geht aus dem Brief hervor, den Lazarus im Oktober 1870 an den französischen Justizminister Isaac Adolphe Cremieux richtete und in dem er für Fontanes Befreiung aus der französischen Gefangenschaft eintrat. Lazarus schreibt dort, Fontane sei einer seiner Freunde, „mit dem ich seit 18 Jahren in demselben literarischen Zirkel wöchentlich zusammenkomme“ (Moritz Lazarus’ Lebenserinnerungen. Bearbeitet von Nahida Lazarus und Alfred Leicht. Berlin 1906, S. 543).
Der „Rütli“, ein kleinerer Freundeskreis, in dem literarische und wissenschaftliche Fragen diskutiert wurden, war zwar eine Abzweigung des „Tunnels über der Spree““, doch nicht alle seine Mitglieder gehörten zugleich dem „Tunnel“ an, so z. B. nicht Theodor Storm, Otto Roquette, August von Heyden und Karl Zöllner. Auch Moritz Lazarus war 1852, als er in den „Rütli“ aufgenommen wurde, nicht Mitglied des „Tunnels“, sondern trat dem Verein erst 1857 bei, zu einer Zeit also, als Fontane sich in England aufhielt. Die freundschaftlichen Beziehungen Fontanes zu Lazarus währten bis in die späten neunziger Jahre, obgleich der „Rütli“ Mitte der neunziger Jahre einging. Der letzte Brief Fontanes an Lazarus, der bisher bekannt geworden ist, stammt vom Januar 1897.
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