John Osbome (Warwick/England)
Theodor Fontane und die Mobilmachung der Kultur:
Der Krieg gegen Frankreich 1870—1871
Der heutige Engländer, der mit dem Auto durch Nordfrankreich in Richtung Deutschland fährt, wird wahrscheinlich die Autoroute de l’Est benutzen. Kurz vor der Stadt Metz sieht er zur Linken, wenn er aufmerksam ist, das kleine Dorf von St Privat la Montagne. Wenn er sehr aufmerksam ist,kann er sogar verschiedene Denkmäler zur Erinnerung an die Kriegsgefallenen vom 18. August 1870 wahmehmen, denn St Privat liegt am nördlichen Gipfel eines Dreiecks, dessen südliche Punkte Gravelotte und Mars la Tour bilden und das zwischen dem 16. und 18. August 1870 der Schauplatz war, wo sich die erbittertsten und verlustreichsten Kämpfe des Deutsch-Französischen Krieges abspielten.
Das strategische Ziel des deutschen Kommandos war es, den Rückzug der französischen Rheinarmee unter General Bazaine über Verdun und Chälons nach Paris zu verhindern. Durch den Sieg am 16. August in der Schlacht bei Vionville-Mars la Tour hatten die Deutschen den eventuellen Abmarsch des Feindes auf der südlichen Straße Metz-Verdun unmöglich gemacht; es galt nun, die nördliche Straße über Briey und Etain zu sperren und damit die 150 000 Mann starke Rheinarmee auf Metz zurückzuwerfen und dort einzuschließen. Dieses gelang den Deutschen, und etwa zehn Wochen später am 29. Oktober folgten die Kapitulation der französischen Truppen und die Übergabe der Stadt.
St Privat lag an der rechten, nördlichsten Flanke der französischen Linien. Die angreifenden deutschen Truppen, die aus den beiden Garde-Infanterie- Divisionen und des XII. (Sächsischen) Corps bestanden, waren um 6 Uhr früh aufgebrochen, und bis 3 V 2 Uhr stand die 1. Garde-Division in Front von St Privat, nachdem sie mit Hilfe der Sachsen das Dorf Ste Marie geräumt hatte, während die 2. Division an ihrem rechten Flügel bei St Ail aufgestellt war. Die Deutschen blickten jetzt nach Osten, denn die 2. Armee hatte den unentschlossenen Bazaine in seinem Rückzug nach Paris schon überholt und eine Schwenkung nach rechts ausgeführt, so daß die Franzosen nun die deutsche Grenze im Rücken hatten, während sie von sehr starken Positionen hinter den steinernen Mauern von St Privat auf die deutschen Truppen hinuntersahen. Wir lassen Fontane ihre Stellung beschreiben:
Dicht hinter dem Höhenrand, welcher treffliche Geschützemplacements gestattete, fällt das Terrain nach Osten zu schroff in die Tiefe und gewährt den Reserven treffliche Deckungen bis zu dem Augenblick, wo sie zur wirklichen Verwendung auf der Höhe gelangen. Das ganze Vorterrain nach Westen dagegen flächt sich glacisartig ganz allmälig ab. Die französischen Chassepots und Mitrailleusen konnten zu ihrer vollständigen Ausnutzung kein günstigeres Terrain finden, während der Angreifer erst zwei Drittel dieses freien Feldes überschreiten mußte, bevor er von seiner Schußwaffe auch nur den mindesten Gebrauch machen konnte. 1
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