Heft 
(1984) 37
Seite
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Was nennt man groß? Was hebt die Seele schaudernd Dem immer wiederholenden Erzähler,

Als was mit unwahrscheinlichem Erfolg Der Muthigste begann?* 4

Anderen aber sah ,das Unternommene* ganz anders aus, zum Beispiel dem Prinzen Friedrich-Karl, dem Kommandierenden der deutschen 2. Armee:

Die Wahrheit ist, daß nur sehr geringe Teile drei Gruppen waren deutlich zu unterscheiden, jede etwa 100 Mann stark am oberen Rande das Feuer­gefecht führten; der Rest war zerstreut in den schützenden, tiefer liegenden Stellen. Mit Ausnahme dieser drei Gruppen, welche bis zum Dunkelwerden rühmlichst an derselben Stelle sich hielten und schossen, machte der ganze Angriff auf jeden Zuschauer aus meiner Umgebung den betrübenden Ein­druck, daß er abgeschlagen sei; r *

während der Historiker des Deutsch-Französischen Krieges, Michael Howard, soweit geht, die Erstürmung von St Privat mit den unüberlegten Infanterieangriffen des Ersten Weltkrieges zu vergleichen. 1 * Für das liberale Bildungsbürgertum des wilhelminischen Deutschlands mußte hingegen dieser Krieg, der die lang ersehnte deutsche Einheit herbeiführte, stilisiert werden. Friedrich Theodor Vischer, ein Liberaler, ein Süddeutscher und kein Freund Bismarcks, kann den Krieg zwar bejahen, aber nur insofern als er ihn als ästhetisches Phänomen betrachten kann:

Viele Völker in alter und neuer Zeit haben ruhmvoll um ihre Freiheit gestritten, in keinem dieser Kämpfe war Alles so rund und ganz, so beisammen, so klar geschlossen und fertig. Diese Einfachheit gibt unserem Krieg etwas Antikes, er gleicht keinem andern so sehr, als den Perser­kriegen des alten Griechenlands. 7

Gewöhnlich bedeutet die Stilisierung dieses Krieges eine starke Polarisie­rung zwischen Deutschland und Frankreich: auf der einen Seite herrschen Disziplin, Ordnung, Pflicht und Treue, auf der anderen Unzuverlässigkeit, Unverantwortlichkeit, Dekadenz und maßlose Selbstüberschätzung. Die kollektive Entschlossenheit des festen preußischen Willens wird dem ver­zweifelten aber letzten Endes unwirksamen Individualismus des Franzosen gegenübergestellt. Im Kriegsbuch Fontanes wird dies im impliziten Ver­gleich zwischen dem kostspieligen aber kaltblütig ausgeführten und erfolg­reichen preußischen Kavallerieangriff in der Schlacht von Vionville, von Bredows berühmtem Todesritt, und den nicht weniger tapferen, aber hoffnungslos gescheiterten Versuchen der Brigade Margueritte, die preu­ßische Infanterie auf den Höhen von Floing vor Sedan zu durchbrechen, beispielhaft dargestellt. Ganz explizit tritt dann diese Dichotomie im Kapi­tel über den Überfall bei Beaumont zutage. Hier wurde am Vorabend von Sedan ein französisches Detachment überrascht, das mit kaum glaublicher Sorglosigkeit in Schußweite eines unbewachten Waldes bivouackiert hatte, dessen Offiziere in der Stadt soupierten, während die Truppen frühstückten, ohne Posten gestellt zu haben.

Dieser schematische Kontrast, der auf der Verallgemeinerung gewisser nationaler Eigenschaften beruht, gehört so sehr zum Bild des Deutsch-

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