Heft 
(1984) 37
Seite
424
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Französischen Krieges, daß er auch bei Nietzsche auftaucht, der Jene gleichmüthige und zähe Tapferkeit' hervorhebt, ,welche der Deutsche dem pathetischen und plötzlichen Ungestüm des Franzosen entgegenstellte'. 8 Nietzsche ist aber viel eher wegen seiner Ablehnung einer berühmten Variante dieser deutsch-französischen Dichotomie bekannt. In der ersten Unzeitgemäßen Betrachtung wird die These, der deutsche Sieg von 187071 beruhe auf der kulturellen Überlegenheit des deutschen Volkes über seinen französischen Nachbarn mit Hohn bedacht:

Von allen schlimmen Folgen [...], die der letzte mit Frankreich geführte Krieg hinter sich drein zieht, ist vielleicht die schlimmste ein weitverbrei­teter Irrtum: der Irrtum der öffentlichen Meinung und aller öffentlich Meinenden, daß auch die deutsche Kultur in jenem Kampfe gesiegt habe. 9

Schon 1866 erhielt diese These ihre bekannteste Formulierung durch den Erdkunde-Lehrer Oskar Peschei, als ,der unsinnige Satz in die Mode kam, der preußische Schulmeister habe die Österreicher geschlagen'. 10 Näheres über den Unterricht in den deutschen Schulen läßt sich vielleicht durch eine Äußerung Friedrich Theodor Vischers ermitteln, der 1871 die These Pescheis wiederholt: ,in der Kriegszucht und Willigkeit der Massen selbst hat Deutschland die Früchte se' ier Volksschule geerntet'. 11 Mit solchen Ansichten über die Funktion der Erziehung überrascht es nicht, daß Vischer den Deutsch-Französischen Krieg als vorbildhaftes Beispiel für das In-Aktion-Treten des Geistes und der Bildung betrachten kann:

So hat sich unsere Bildung mit unserer Urkraft und dem Feuer der Leiden­schaft in eins zusammengefaßt, der Schatz unseres Wissens, unserer Dich­tung, unserer lang gesammelten geistigen Habe ist zum Blitz verdichtet in die Schwerter gefahren und ein Kulturvolk hat bewiesen, daß es auch ein Volk der Tat ist. 12

Das war also die Stimmung, als Fontane den Auftrag erhielt, sein drittes Kriegsbuch zu schreiben, und es dürfte kaum überraschen, daß der preu­ßische Patriot von den herrschenden Klischees nicht unbeeinflußt blieb, denn dieses Kriegsbuch zeigt ihn als einen bewußten Patrioten, der seine Arbeit schon vom Stoff her als nationales Epos begriff und der auf An­erkennung hoffte:

Zwölf Jahre lang habe ich an diesen Kriegsbüchem Tag und Nacht gear­beitet; sie feiern, nicht in großen aber in empfundenen Worten, unser Volk, unser Heer, unsren König und Kaiser; [...] Da steht sie [die Arbeit], wenn auch weiter nichts, das Produkt großen Fleißes, ihrem Gegenstände nach aber das Einzige repräsentirend, dem gegenüber man eine Art Recht hat das Interesse des Kaisers, als des persönlichen Mittelpunkts, des Helden dieser großen Epopöe [... ] zu erwarten. 13

Der Krieg gegen Frankreich, das dritte der drei großen Kriegsbücher Fon­tanes, wurde zu einem entscheidenden Zeitpunkt in der literarischen Karriere seines Verfassers geschrieben, das heißt kurz nachdem er ernst­haft begonnen hatte, an seinem ersten Roman, Vor dem Sturm , zu arbeiten, und somit unmittelbar vor seinem erstaunlichen Hervortreten im Alter