von 60 Jahren als der bedeutendste Romancier des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Seiner Frau gegenüber betont er 1882 die Bedeutung dieser beiden Werke im Selbstentdeckungsprozeß:
Ich sehe klar ein, daß ich eigentlich erst beim 70er Kriegsbuche und dann bei dem Schreiben meines Romans ein Schriftsteller geworden bin d. h. ein Mann, der sein Metier als eine Kunst betreibt, als eine Kunst, deren Anforderungen er kennt. 14
Im Laufe dieser Entwicklung wurden die starken Gegensätze so vieler Schriften zum Deutsch-Französischen Krieg wo nicht ausgeglichen so doch wesentlich gemildert, indem der Romancier aus dem Historiker, der Gesellschaftskritiker aus dem Patrioten geboren wurde.
Nicht nur als Chronist hat Fontane bei den Siegesfeiern der 60er und 70er Jahre seine Pflicht getan. Unter den Gedichten, die im Dezember 1864 die heimkehrenden Truppen begrüßten, war Fontanes ,Einzug“; dazu bemerkte der weniger begeisterte Theodor Storm:
Das fontanesche Einzugslied ist meisterhaft, obgleich überall der Zipfel der Kreuzzeitung heraushängt; ich habe ihn gratuliert, doch zugleich die Hoffnung ausgesprochen, daß er der letzte Poet einer trotz allem dem Tode verfallenen Zeit sein möge, in der die Tat eines Volkes erst durch das Kopfnicken eines Königs Weihe und Bedeutung erhalte. Das Lied feiert überhaupt nur die militärische Bravour; von einem sittlichen Gehalt der Tat weiß es noch nichts. 15
Wie wir wissen, wurde Storm enttäuscht. Fontane war weit davon entfernt, der letzte Dichter zu sein, dessen Blick ausschließlich auf die militärische Bravour von Kriegstaten gerichtet war. Gerade die nächsten zehn Jahre sahen eine wahre Flut von Schriften, denen ebenfalls jenes von Storm vermißte ethische Bewußtsein fehlte. Bis 1870 war auch Fontane durch die Eintönigkeit der Kriegs- und Siegesliteratur ermüdet. Auf die Einladung des Hofbuchdruckers, Rudolf von Decker, ein drittes Kriegsbuch zu schreiben, antwortet er ironisch und resigniert:
Gestern in die flaggende, siegestrunkene Hauptstadt zurückgekehrt, beeile ich mich, Ihre geehrte Zuschrift, für die ich herzlich danke, zu beantworten.
Es erging mir wie Ihnen; ich hatte das Gefühl: nun ist es auf Lebenszeit an Siegen und Siegesbeschreibungen genug. Es hat anders kommen sollen. Alles steht ein drittes Mal im Felde, so denn auch wir. 16 Bis Weihnachten hat sich aber seine Einstellung geändert; nun schreibt er wie einer, der sein Material schöpferisch bewältigt hat; er sieht sich nicht mehr dem mühsamen Auftrag gegenübergestellt, die Siege der Nation pflichtgemäß aufzuzählen, sondern der Reichtum und die Vielseitigkeit des Stoffes reizen sowohl den Romancier als auch den verschmitzten Kritiker. In einem späteren Brief an Decker wird seine kühnste Bemerkung — echt Fontanesch — durch seine unschuldige Beiläufigkeit beinahe verdeckt:
Noch Ende September [... ] blickte ich auf das neue Buch wie auf eine schwere Arbeit. Jetzt blicke ich darauf wie auf eine f reudige, den Schreiber selbst erhebende Aufgabe. Die Dinge haben sich so gestaltet, der Stoff ist
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