Heft 
(1984) 37
Seite
426
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so überreich, daß wie von selber ein Werk entstehen wird, das mit den beiden vorhergehenden wenig Ähnlichkeit haben wird. Es muß sich lesen wie ein Roman. Es muß nicht blos fleißig und ordentlich werden, nicht blos Klarheit in einen chaotischen Stoff bringen (dies Verdienst nehme ich auch für das 66er Buch in Anspruch), es muß fesseln, Interesse wecken wie eine Räubergeschichte. Etwas davon ist es ja auch leider. 17 Fontanes Auftrag bestand darin, eine ausführliche Geschichte des ganzen Krieges zu schreiben, nicht etwa solche Augenzeugenberichte, wie sie Gustav Freytag für die Grenzboten oder Friedrich Engels für die Londoner Pall Mall Gazette lieferte. Erst am 27. September verließ er Deutschland, das heißt am Tag der Kapitulation von Straßburg, fast vier Wochen nach der Schlacht von Sedan (1. September) und nachdem die deutsche Armee schon vor Paris lag. Kurz vor seiner Abreise schrieb Fontane, er hoffe bis 6. Oktober in Paris zu sein und wünsche ,dem Einzuge unsrer Truppen die Elyseischen Felder hinauf beiwohnen zu können'. 18 So war es aber nicht. Die Geschichte ist bekannt. Am 2. Oktober befand sich Fontane in Toul. Von dort aus war das ,Jeanne dArc-Land' leicht erreichbar, und er bestand auf den Abstecher: ,ich hätte jede Mühe und jeden Preis daran gesetzt'. Was den kulturbeflissenen Deutschen dorthin lockte, war selbstverständlich, seine .Passion pour la Pucelle'; und er wurde nicht enttäuscht: .alles war Poesie'. Die Franzosen schienen dagegen kein so großes Interesse für ihre Vergangenheit zu haben:

Ich klopfte eben mit meinem spanischen Rohr an der Statue umher, um mich zu vergewissern, ob es Bronze oder gebrannter Ton sei, als ich vom Cafe de Jeanne dArc her eine Gruppe von 8 bis 12 Männern auf mich zukommen sah, ziemlich eng geschlossen und unter einander flüsternd. Ich stutzte, ließ mich aber zunächst in meiner Untersuchung nicht stören und fragte, als sie heran waren, mit Unbefangenheit: aus welchem Material die Statue gemacht sei? Man antwortete ziemlich höflich: ,aus Bronze', schnitt aber weitere kunsthistorische Fragen, zu denen ich Lust bezeugte, durch die Gegenfrage nach meinen Papieren ab. 19

Fontane war in die Hände einer Gruppe Franctireurs gefallen und wurde unter dem Verdacht der Spionage verhaftet.

Obgleich er schließlich die französischen Behörden davon überzeugen konnte, daß er kein Spion war, wurde er nicht freigesetzt, sondern wegen seiner Bekanntschaft mit preußischen Offizieren und seiner .militärischen Augen' wurde er durch Frankreich zur Insel Oleron gebracht, wo er zwei Monate inhaftiert blieb, ehe er nach dem Eingreifen Bismarcks entlassen wurde. Dank dieser unfreiwilligen Muße bekam Fontane die Gelegenheit, von einem ungewöhnlichen Gesichtspunkt über den Krieg, zumal über den Gegner, nachzudenken. Während er in ununterbrochenem Kontakt mit dem Feinde von Besan?on zur atlantischen Küste fährt, verliert er zwar nicht ganz jene polarisierende Gewohnheit, die dem Krieg eigen ist, aber wie nach der Schlacht von Sedan im Kriegsroman von Zola, La Dtbäcle, bekommt der Feind ein menschlicheres Aussehen. Die Vereinfachung und die Vergröberung, die die Entfernung verleiht, machen einem größeren Skrupel und einer größeren Differenzierung Platz. Namentlich distanzierte