Heft 
(1984) 37
Seite
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sich Fontane von jenen einseitigen Ansichten, die wir schon oben erwähn­ten; der weitverbreitete Irrtum, daß die deutsche Kultur im Kampf gegen Frankreich gesiegt habe, hält nicht mehr stand:

Auch ihr Bildungsgrad, um das noch zu bemerken, hatte mindestens, bei sonst gleichen Voraussetzungen, das Niveau des unsrigen, wie ich denn überhaupt glaube, daß wir nach dieser Seite hin, allzu selbstgefälligen Vorstellungen hingeben. Wir glauben eine Art Schul-Monopol zu besitzen und es gibt Leute unter uns, die [... ] wo möglich den Beweis führen möchten, daß jenseit der deutschen Grenze alles Lesen und Schreiben aufhöre, wie etwa 20 000 Fuß hoch das Atmen aufhört. 20

In seiner Darstellung seiner Kriegsgefangenschaft scheint Fontane manch­mal sogar eine Rechtfertigung des Feindes schreiben zu wollen, was sein Sohn, Georg, damals Offizier in der preußischen Armee, ziemlich peinlich fand; 21 aber wie es oft bei eigenwilligen Eltern der Fall ist, fuhr der Vater fort, Sachen zu schreiben, die seinen Sohn in Verlegenheit bringen konnten, und zwar den Band Aus den Tagen der Okkupation. In diesem ,Wanderbuch, das Fontane zu Ostern 1871 schrieb, während er die Schlachtfelder besichtigte, um Material für die großangelegten Kriegs­bücher zu sammeln, stehen die subjektiven Eindrücke und Erlebnisse des Reisenden im Vordergrund. Hier geht es nicht nur um den Kampf zweier Armeen, sondern es geht auch und erst recht um den Kampf eines Deut­schen um ein Bett und ein Essen unter einer besiegten und mißtrauischen Bevölkerung. Der Humor des Buches liegt zum großen Teil in der Tatsache, daß Fontane den vergangenen Krieg als Metapher für seine gegenwärtigen Probleme zu verwerten weiß. Das Meisterstück in dieser Gattung ist wohl die Beschreibung des Dejeuner in Amiens, wo im Gasthof, La Tete de Boeuf, der verspätete Gast einen Teller ,oeufs sur le plat aufgetischt bekam:

der zweite Gang [... ] bestand aus Eiern, die, nach französischer Sitte, nicht in die Pfanne, sondern gleich in den Teller geschlagen waren, in dem sie nun, trotz der heißen Platte auf der sie gestanden, den Prozeß des Koagu­lierens nur sehr unvollkommen durchgemacht hatten. Auf dem Perfekt­gewordenseins dieses Prozesses aber beruht die alleinige Möglichkeit, dieses Gerichts Herr zu werden. Ich sah gleich, daß dies in dem vorliegenden Fall notwendig seine Schwierigkeiten haben müsse, begann aber nichtsdesto­weniger gutes Mutes, da wenigstens der Rand, wie ein Graben im Winter, leicht überfrören war. Es ging aber wirklich nicht; die Sache hatte keine Spur von Halt und ich befand mich in der Lage des Storches in der Fabel, den der Fuchs zu Gast geladen hat. Ich schickte mein Auge rechts und links die Tafel hinunter, um vielleicht dem einen oder andern Mitspeisenden einen Kunstgriff absehen zu können, aber darin rächte sich eben mein Zuspätgekommensein, daß alles schon weit voraus war und nun ausschließ­lich Miene machte, der Entwicklung des Dramas, in dem ich Schuld und Unschuld zugleich war, neugierigen Blicks zu folgen. Es blieb mir endlich nichts anderes übrig, als unter Verleugnung meiner Grundsätze, zu dem bekannten Hülfsmittel der Brodschippe zu greifen, machte aber nun wieder die Erfahrung, wie gefährlich es ist, mit Prinzipien zu brechen. Alle Balancierkunst scheiterte; jedesmal auf halbem Wege zwischen Teller und

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