Heft 
(1984) 37
Seite
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Das heißt: unter den fürs Vaterland gefallenen preußischen Aristokraten, ,der Blüte des Landes", und ihren treuen Untertanen lag auch eine Schaf­herde, die mitgestürmt hatte. Als einzigen Kommentar schreibt Fontane den lapidaren Satz: ,Ein grausen voller Humor; eine groteske Illustration dieses blutigen Tages". 32 (Der Ausgang war noch viel grotesker, als sich Fontane vorstellen konnte. Am folgenden Morgen, dem 19. August, ging der Kommandierende der Garde-Artillerie, Prinz Kraft zu Hohenlohe- Ingelflngen, über das Schlachtfeld. Dort begegnete er beim Frühstück dem Prinzen August von Württemberg, der am Abend vorher die Garde wie das Lamm zur Schlachtbank frühzeitig in den Kampf hineinbefohlen hatte: ,Es ward Feuer gemacht, und es wurde gekocht. Es gab frisches Hammelfleisch. Woher? Beim Vorgehen der Garde-Infanterie aus Ste Marie war eine Hammelherde erschreckt die Front der Infanterielinie entlang geflüchtet, viel Staub aufrührend. Ob der Feind diesen Staub für Kavalle­rie hielt, weiß ich nicht. Aber alle diese Hammel fielen unter den feindlichen Kugeln, so heftig war dies Infanteriefeuer gewesen. Jetzt lebten wir von diesem Hammelfleisch".' 0 )

Erst im Stechlin kommt die implizite Bedeutung dieser Anekdote voll zur Geltung, und zwar in der Auseinandersetzung zwischen Dubslav und Lorenzen über den Heroismus, wo es wieder von St Privat die Rede ist:

Mein Heldentum soll heißen, was ich [Lorenzenl für Heldentum halte, das ist nicht auf dem Schlachtfelde zu Hause, das hat keine Zeugen oder immer nur solche, die mit ihm zugrunde gehn.

t... ] Ich darf sagen, ich hab einen Sinn für dergleichen. Aber trotzdem, Lorenzen, die Garde bei St Privat ist doch mehr.

Ich weiß nicht, Herr von Stechlin. Echtes Heldentum, oder ums noch ein­mal einzuschränken, ein solches, das mich persönlich hinreißen soll, steht immer im Dienst einer Eigenidee, eines allereigensten Entschlusses. [... ] Der Bataillonsmut, der Mut in der Masse (bei allem Respekt davor), das ist nur ein Herdenmut. 34

Die Leistung Fontanes in seiner Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges besteht in seiner Verwertung des scheinbar Trivialen oder, um mit Professor Willibald Schmidt zu reden, des Nebensächlichen. Der diffe­renzierten Wahrheit, die Fontane sucht, wird eher mittelbar, durch das andeutungsvolle Bild gedient als durch das Monumentale und Explizite, welches nur die eine Bedeutung zuläßt. Gustav Freytag, der auch diesen Krieg im historischen Kontext betrachten will, hat ein entgegengesetztes geschichtliches Verständnis, nach dem die Geschichte lediglich als Vor­geschichte von 1870 betrachtet wird: .Allem fehlt die freudige Unbefangen­heit, die Lust an der Sache selbst, alles ist herausgeklügelt und dient einem doktrinären Zweck". 33 Das Interesse des unbefangenen Fontane gilt der Vergangenheit an sich und nicht nur in Bezug auf die deutsche Gegen­wart von 1870. Das wird auch an den Stellen deutlich, wo Fontane wie viele seiner Zeitgenossen scheinbar kulturhistorische Erklärungen für den deutschen Sieg abgeben will. Was er immer wieder dem besiegten Feind vorzuwerfen hat, ist die Gleichgültigkeit gegen die eigene Geschichte;

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