man denke an jene Franctireurs, die den preußischen Spion witterten und ihre eigenen Denkmäler vernachlässigten:
Diese Gleichgültigkeit, dieser Haß, sie sind zu erheblichem Teile ein Resultat der total-verwerflichen Art, wie man sich in Frankreich seit achtzig Jahren gewöhnt hat, Geschichte zu lehren. Zurückliegendes wird vernachlässigt, vergessen, und so wächst denn ein Geschlecht heran, das von der alten Ruhmesgeschichte des Landes nichts mehr weiß, nichts mehr wissen kann [...]. Undank und Pietätlosigkeit schreiten in häßlicher Nacktheit durch die Straßen. Kein Wunder; sie stellen sich immer ein, wo, wie eben in Frankreich, der historische Sinn verloren gegangen ist. 36 Fontanes Worte lassen sich wie immer auch auf das eigene Land anwenden. Sie hätten schon damals dem kaiserlichen Deutschland als prophetische Warnung dienen können, denn genau die gleichen, letzten Endes antihumanistischen Tendenzen lassen sich in den wilhelminischen Bildungsreformen des ausgehenden 19. Jahrhunderts wiedererkennen. 37 Kein Geringerer als Kaiser Wilhelm II. verlangte vom Geschichtsstudium vor allem das Verständnis der Gegenwart, und namentlich der Stellung des eigenen Landes in der Gegenwart und auf dem Weltmarkt. Es ist sicher nicht fehl am Platz, wenn ich als Vertreter der sogenannten Auslandsgermanistik, eines Faches, dessen Studium eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber dem zeitlich und räumlich Entfernten voraussetzt, als einer, dessen Beruf es ist, diese Aufgeschlossenheit zu fördern, Fontane — selber ein großer Liebhaber der englischen Literatur — vor Kaiser Wilhelm II. als Vorbild empfehle.
Anmerkungen
Dieser Aufsatz beruht auf meiner am 13. Oktober 1980 an der Universität Warwick gehaltenen Antrittsvorlesung. Auch im Druck wird die gattungsspeziflsChe Eigenart teilweise beibehalten. Fontanes Schriften werden zitiert nach den von Edgar Groß, Kurt Schreinert, Rainer Bachmann, Charlotte Jolles und Jutta Neuendorfl-Fürstenau in der Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München, 1959-1975 herausgegebenen Sämtlichen Werken (= NA 1—24).
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Theodor Fontane, Der Krieg gegen Frankreich 1870-1871. Band 1 Der Krieg gegen das Kaiserreich. Berlin 1873 (Faksimile-Ausgabe, München 1977), s. 318 f. (Im folgenden zitiert: Der Krieg I.)
Der Krieg I, S. 322 f.
Der Krieg I, S. 325.
Der Krieg I, S. 320.
Prinz Friedrich Karl von Preußen. Denkwürdigkeiten aus seinem Leben Hrsg, von Wolfgang Foerster. Stuttgart und Leipzig 1910, Band 2, S. 256.
Michael Howard, The Franco-Prussian War. London 1961, S. 182.
Friedrich Theodor Vischer, Der Krieg und die Künste. Stuttgart 1872, S. 48 f. Friedrich Nietzsche, Werke. Kritische Gesamtausgabe. Hrsg, von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Band 3/i, (West-) Berlin und New York 1972, S. 156. Nietzsche, Werke. 3/i, S. 155.
10 NA, 8, S. 55.
11 F. Th. Vischer, Kritische Gänge. München 1914-22. 2. Aufl. Band 3 S 14f. Vgl.: Michael Naumann, Bildung und Gehorsam. Zur ästhetischen Ideologie des Bii- dungsburgertums. ln: Das wilhelminische Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen. Hrsg, von Klaus Vondung. Göttingen 1976.
12 F. Th. Vischer, Kritische Gänge. Band 2, S. 521.
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