Heft 
(1984) 37
Seite
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Theodor Fontane schreib diese Zeilen im August 1883 von der Sommer­frische an seine Frau Emilie. Er liebte es, sich in einen Badeort zurück­zuziehen, wenn ein literarisches Projekt in das entscheidende Stadium seiner Verwirklichung trat. Er lebte hier allein und zurückgezogen, doch er sprach sich brieflich über die Phasen seiner Arbeit aus, als ob das Gespräch aus der Entfernung ihm nützlicher wäre als die mündliche Unterhaltung. Das Werk, auf das sich Fontane in diesem Zitat bezieht, ist der Roman Graf Petöfy, der im April 1884 in einer Stuttgarter Wochen­schrift erschien (wie übrigens sein gesamtes erzählerisches Werk zuerst in Zeitungen oder Zeitschriften vorabgedruckt wurde: Zeichen für seine pragmatische, und nicht esoterische Auffassung vom Schreiben). Der Roman erzählt eine Geschichte, die nichts Sensationelles an sich hat: Der Prota­gonist wird von einer der Romanfiguren folgendermaßen beschrieben:Er ist alt und möchte gern jung sein, er spielt den Weltmann und er ist eigentlich bloß Wiener, und drittens und letztens: er glaubt, daß sich alle Weiber um ihn reißen, und wird doch eigentlich nur genasführt. Dieser Mann also heiratet eine junge, anziehende Schauspielerin; die Ehe ist ein Mißerfolg und nach noch nicht einem Jahr nimmt sich der Alte mit viel Dezenz das Leben.

Graf Petöfy wird übereinstimmend von der Kritik als einer der weniger geglückten Romane Fontanes betrachtet. Dennoch ist seine Bedeutung für die Entwicklung des Erzählers nicht zu unterschätzen. Gemeinsam mit dem nur wenig früheren Roman LAdultera (er war zwei Jahre zuvor erschienen) bezeichnet er den Übergang zu einer Thematik, um die fast alle folgenden Meisterwerke Fontanes kreisen werden: die Thematik der unglücklichen, gefährdeten Ehe, das Thema des Ehebruchs oder der Mesalliance. Fontane hatte damit offensichtlich ein Thema gefunden, das tiefverankerten Wurzeln seiner Persönlichkeit entsprach (es sei nur unter anderem an seine Eltern erinnert, die nach jahrzehntelanger Ehe unrühmlich auseinandergingen). Dieses Thema, das schon an sich so reiche Möglichkeiten auf der Ebene der Intrige und Psychologie birgt, eignete sich auch für immer weitergreifende, soziale und historische Im­plikationen. Nach Hans-Heinrich Reuter, dem Verfasser der größten und materialreichsten Fontanemonografle, löst sich die Verbindung zwischen dem betagten habsburgischen Magnaten und der jungen Schauspielerin aus wesentlich privaten und wie er sagt zufälligen Gründen. Von dieser Beschränkung rühre die mindere Qualität des Romans her. Und man kann ihm beipflichten: dasselbe Thema gewinnt nämlich in den folgenden Werken eine ganz andere Dichte und Dimension gerade dadurch, daß nun auch grundlegende Faktoren der Gesellschaftsmoral seiner Zeit mitein- bezogen werden. Übrigens wissen wir, daß das nicht nur für Deutschland gilt: Ehebruchs- und Mesalliancegeschichten sind in allen bürgerlich­realistischen Literaturen des 19. Jahrhunderts Träger der Gesellschafts- analyse. Doch die richtige Beobachtung Reuters muß ergänzt werden.

Graf Petöfy ist schon ein klassischer Roman Fontanes, insofern er nicht mehrhistorisch, sondern ein Zeitroman ist; indes spielt er hauptsächlich in Österreich, in einer dem Autor wenig bekannten Umgebung. Da die Erzählkunst Fontanes zum guten Teil auf einer nuancenreichen realisti-

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