Heft 
(1984) 37
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geboren worden. Er war schon ein Heranwachsender und unternahm seine ersten jugendlichen Dichtversuche, als noch Hegel und Goethe lebten; und er sollte dann mit seinen jungen Kollegen Hofmanntshal und Rilke einer der ersten Mitarbeiter der großen ZeitschriftPan werden, dem Banner­träger des Jugendstils am Ausgang des Jahrhunderts. Seine Eltern waren beide französischer Herkunft, sie waren direkte Abkömmlinge der Ende des 17. Jahrhunderts nach der Aufhebung des Edikts von Nantes aus Südfrankreich nach Berlin emigrierten Hugenotten. Und auch seine Ehefrau Emilie Rouanet-Kummer war eine Urenkelin französischer Refugies. Fon­tane erinnerte jederzeit mit Stolz an diese Bindung, seine Herkunft, die in seiner Persönlichkeit immer fühlbar wirksam blieb. Ihr schrieb der Schriftsteller selbst seine Eigenschaft als leidenschaftlicherCauseur, im Sprechen wie im Schreiben zu.

Obwohl er den väterlichen Apothekerberuf ergriff, löste sich Fontane nie von seiner frühen dichterischen Neigung. Jahrzehntelang pflegte er die verschiedensten Gattungen, von der Lyrik bis zur Versnovelle, vom Roman bis zur Ballade; wobei die politische Publizistik nicht ausgeschlossen blieb. In den vierziger Jahren hatte er sich nämlich der demokratisch-revolutio­nären Bewegung angeschlossen, und in den Berliner Märztagen stieg er selbst mit auf die Barrikaden. Zu der Generation gehörig, die am nach­haltigsten im Alter des größten politischen Engagements von der reaktionären Entwicklung nach dem Scheitern der Revolution betroffen war, machte Fontane dann einen gravierenden, folgenschweren Wandel durch. Zur Zeit der größten Hoffnungen hatte er endlich die Apotheke aufgegeben, um sich ganz seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen, die ihm von nun an allein die Existenzgrundlage sichern sollte. 1851, nach­dem die Euphorie verflogen war, und zu einem Zeitpunkt, da er soeben familiäre Verpflichtungen eingegangen war, wurde er dann zu einem schwerwiegenden Kompromiß gezwungen. In den Dienst des Pressebüros der Preußischen Regierung getreten, mußte er sich in einem Klima poli­tischer Restauration und tiefer moralischer Depression dem Diktat des offiziellen Journalismus beugen. Als positive Erfahrung dieser Tätigkeit bleibt, daß sie ihn zu einem langen Aufenthalt nach England führte, wo er die Gelegenheit hatte, eine in liberaler Hinsicht viel fortgeschrittenere Gesellschaft aus der Nähe kennenzulemen. Dickens und Thackeray bildeten den literarischen Hintergrund, und gemeinsam mit Walter Scott zählten sie auch später immer zu seinen literarischen Vorbildern. In den sechziger Jahren arbeitete er für die konservativste preußische Zeitung seiner Zeit, die berüchtigteKreuzzeitung. Er verließ sie erst 1870, als er eine Stelle bei der alten liberalenVossischen Zeitung erhielt, zu deren prestige­reicher Tradition auch Lessing als Mitarbeiter beigetragen hatte. Und für dieVossische Zeitung schrieb Fontane auch noch weiter, nachdem er sich 1876 endgültig von einer letzten festen Stellung befreit hatte, um von nun an nur noch seiner Tätigkeit als freier Schriftsteller zu leben. In den Jahren unmittelbar darauf fand Fontane, wie wir gesehen haben, seine eigene Identität, und es begann die erstaunliche Blüte seiner Schaffenskraft, die zwanzig Jahre anhielt, bis zu seinem Tod 1898, also kurz nach der Rückgabe der Druckfahnen seines letzten großen Romans, Der Stechlin.

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