Heft 
(1984) 37
Seite
441
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wohl davor, ihrem Beispiel zu folgen. Die beiden unterschiedlichen Wege, die damals die jungen Brüder Mann einzuschlagen im Begriff waren, spiegeln auf ihre Art diese unterschiedlichen Verhaltensweisen wider.

Irrungen, Wirrungen (ein sehr wirksamer Titel im Original, doch schwer zu übersetzen) stellt den Höhepunkt dessen dar, was zu recht als das Tryptichon der achtziger Jahre bezeichnet worden ist. Der Roman, der in derVossischen vorabgedruckt wurde und dann als Buch zu Beginn des Jahres 1888 erschien, nimmt eine Mittelstellung zwischen Cecile (1887) und Stine (1890) ein. Alle drei Romane entwerfen eine Situation der Mes­alliance, sind auf die für jene Zeit emblematische Figur der Maltresse, der Dame desDemi-monde, ausgerichtet. Nicht zufällig sind die Ausdrücke französisch: dieses Sittenphänomen entfaltete im zweiten Empire seine größte historisch-soziale Bedeutung. Vieles ging dann vom zweiten Empire auf das zweite Reich über, das aus dessen Asche entstand. Aber in dem ernsteren Deutschland, auf protestantischem Boden, verlor das Thema seine geniale Frivolität, die Pariser Leichtlebigkeit, und wurde allgemein als dramatischer oder elegischer Stoff behandelt. Cecile ist in ihrer Jugendzeit die offizielle Geliebte eines alten Prinzen gewesen, und nach seinem Tod die seines Neffen. Ein Oberst, Angehöriger des niederen Adels, der zwan­zig Jahre älter ist als sie, heiratet sie und macht sie so gesellschaftsfähig. Doch die Vergangenheit rächt sich. Bei zwei Gelegenheiten glaubt sich der Ehemann von einer Anspielung provoziert, schlägt sich im Duell und tötet jeweils seinen Gegner. Dem zweiten der beiden fühlt sich Cecile eng ver­bunden, obwohl sie ihrem Gatten treu bleibt; von dem neuen Schaden, den ihr vergangener Status auf sie wirft, übermannt, nimmt sich Cecile das Leben.

In Stine dagegen ist es der Vertreter der anderen Partei, der sich umbringt. Ein junger Graf entdeckt in seiner Geliebten aus einfachen Verhältnissen so viele menschliche Qualitäten und eine so starke erwiderte Liebe, daß er beschließt, sie zu heiraten. Die Familie, die ganze Gesellschaft widersetzt sich; und schließlich lehnt Stine selbst die Ehe ab, was den Selbstmord des Aristokraten zur Folge hat. In beiden Fällen also wird ein soziales Vorurteil zur Tragödie. Die Protagonisten der beiden Romane lehnen die Konventionen ab, ihr Protest ist eine Anklage, weist mit nachdrücklichem Pathos auf die Notwendigkeit, die Sitte zu ändern, das Klassenvorurteil zu brechen.

Nicht so in Irrungen, Wirrungen. Und doch erscheint die Haltung der Protagonisten in diesem Roman menschlich desto überzeugender und glaubhafter, was sich auch im Gewinn an poetischer Qualität bestätigt. Warum? Ist Fontane vielleicht ein Reaktionär oder, wie Lukäcs meint, ein resignierter Skeptiker? Ich würde weder das eine noch das andere sagen. Auch die Briefe legen ein klares Zeugnis dafür ab. Er ist einfach ein großer Realist. Die Lösung, die er in Irrungen, Wirrungen für diese typische Situation anbietet, entspricht den konkreten Umweltbedingungen viel mehr als der grausame Schluß in den beiden vergleichbaren Romanen. Und daher hat die Geschichte von Lene und Botho ihre ungleich stärkere Kraft des Protestes. Eine erschreckende Wirkung übt auf den Leser ihre