Heft 
(1984) 37
Seite
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Liebe ist:

that state of feeling with regard to a person which arises from recognition of attractive qualities, from sympathy, or from natural lies, and manifests itself in warm affection and attachment. 3 Natürlich manifestiert sich ein solches Gefühl kräftig im sexuellen Bereich: Botho und Lene sind beide Liebhaber im vollsten Sinne des Worts, wobei Fontane mit charakteristisch unmoderner künstlerischer Diskretion den Vollzug ihrer Liebe zwischen Kapitel Zwölf und Dreizehn andeutet:

Und sie schmiegte sich an ihn und blickte, während sie die Augen schloß, mit einem Ausdruck höchsten Glückes zu ihm auf.

Beide waren früh auf. 4

Ein solches vollkommenes, wenn auch hier flüchtiges Glück ist das Element und das Ziel der Liebe und doch befindet sich hier das erste Paradox diesessehr diffizilen, sehr intrikaten 5 und so treffend betitelten Romans, Irrungen, Wirrungen, d.h.Verwicklungen oderIrrtümer. Gerade weil Lene, die Heldin, so ernst und ehrlich ist, fähig sich dem Leid zu stellen und es zu akzeptieren, das, wie schwer es auch sei, zum Leben gehört, kann sie so klar sehen, so tief fühlen und so wahrhaft lieben. Hierin ist sie mit dem traurig sinnierenden Mädchen wesensverwandt, das, indem sie Lene im Garten zusammenfallen sieht,eine ernste Vorstellung von dem Leid des Lebens 6 zu haben scheint. Lene, die einfache Näherin, besitzt eine Freiheit und einen Adel, Eigenschaften, die Käthe Sellenthin oder Baron von Osten oder der Baronin von Rienäcker oder sogar Frau Dörr, geschweige denn den Offizieren und ihren Mätressen fremd sind; Lene stellt nie übermäßige Ansprüche.Des armen bißchen Lebens 7 bewußt, das uns zuteil wird, akzeptiert sie Vergänglichkeit, menschliche Schwäche und damit verbunden, das Bedürfnis des Selbstopfers: Sie hat gelernt, sich zu gedulden. Frau Nimptsch ähnelt ihr darin: Als die Liebes­affäre ihrer Pflegetochter in die Brüche geht, bemerkt sie einfach:daß es so gut sei. 8 Lenes Liebe zu Botho kann also von der liebevollen und zärt­lichen Rücksicht, der Aufmerksamkeit, nicht getrennt werden, die sie allen Gegenständen und allen Pflichten, wie trivial sie auch seien, und allen Menschen um sie, besonders Frau Nimptsch, ihrer alten Pflegemutter, entgegenbringt. Als letztere im Sterben liegt:

saß Lene neben ihr, ihre Hand haltend, und als sie sah, daß der Blick der Alten immer in derselben Richtung ging, sagte sie: ,Soll ich ein Feuer machen, Mutter? 9

Es ist diese alltägliche, häusliche Atmosphäre, die der verwirrte Offizier, Botho, ja der Autor selbst, so anziehend findet, daß er erklärt:

Ich behandle das Kleine mit derselben Liebe wie das Große, weil ich den Unterschied zwischen klein und groß nicht recht gelten laße. 10

Herz und Hand, die Verbindung von wahrem Gefühl und von der Arbeit, die Schaffung einer rechten Ordnung, einer Ordnung, die irgendwie über

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