Heft 
(1984) 37
Seite
447
Einzelbild herunterladen

Liebesverhältnis mit einem gewissen Kuhlwein, das sie Gideon Franke auch zu ihrem eigenen Schaden enthüllen muß, wobei sie gleichzeitig ihr Verhältnis mit Botho enthüllt. Das führt Gideons beide Teile belehrendes Gespräch mit Botho herbei. Fontane hat die Gewohnheit, solche oft para­doxen Andeutungen, Schlüssel und geheimen Triebfedern überallhin zu streuen.

Bis Lene nach Hankeis Ablage fährt, wo sie sich Botho hingibt, hat sie unseren Respekt und unsre Zuneigung gewonnen. Trotzdem wird sie dort von sexuellen Anspielungen und abfälligen Bemerkungen umgeben, und, als Bothos Offizierskameraden und ihre Mätressen ankommen, wird sie der Vulgarität, Falschheit und, was noch schlimmer ist, Böswilligkeit aus­gesetzt. Keine Idylle ist in diesem Leben von Dauer; man kann der mensch­lichen Gesellschaft nie lange entgehen. Wurde doch dieser feinfühlige Roman, als er zuerst erschien, als eine pureHurengeschichte verpönt . 27

An dem Abend, als sie und Botho ankommen, fühlt sie sich schwindlig und muß zu ihrem Zimmer hinaufgehen, wo ihr die Frau des Wirts, die sie für schwanger hält, Melissentee empfiehlt. Sie betrachtet die Bilder an der Wand. Eines, eine Lithographie, heißtSi jeunesse savait, ein Bild, das sie sich entsinnt in der Dörrschen Wohnung gesehen zu haben. Sie ist von dessen verzerrender Lüsternheit so verstimmt, daß sie das Fenster öffnen muß, um die Nachtluft, ja um die Natur, ihr Element, einzulassen.

Früher, als die beiden Liebhaber über eine Wiese (wieder eine Wiese!) gingen, wollte Botho ein Sträußchen für Lene pflücken, aber er meinte, daß keine Blumen zu finden seien. Sie widerspricht ihm sogleich:

Es stehen hier mehr als in Dörrs Garten; man muß nur ein Auge

dafür haben . 28

Ihre großzügige Liebe ermöglicht es ihr, sie zu sehen. Als Botho sie dann pflückt, bringt er ihre Namen durcheinander, obwohl er zwischenBukett undSalat 29 unterscheidet etwas, was die Mätressen wegen ihrer Käuflichkeit nicht machen können. Bezeichnenderweise wird später im Roman die unnatürliche Käthe Käthedie Puppe auf dem Rücksitz ihrer Droschkeein Riesenbukett 30 , das immer wieder herunterzufallen droht, mit ihrem Sonnenschirm festhalten.

Fontane hebt die tiefere Bedeutung der Namen verschiedener Blumen hervor, die Lene erkennt. Alle sind Embleme. NachEhrenpreis (d. h. Opferung der Ehre)Die wirst du doch wohl gelten lassen ? 31 bemerkt Lene zu Botho ist die nächstgepflückte BlumeTeufels-Abbiß, was die spöttische Bemerkung gegen Botho hervorruft,und eigens für dich gewachsen. 32 Diese leise und unheimliche Andeutung der Sünde wird später in einer scheinbar zufälligen freundlichen Bemerkung von Botho an den Wirt wieder aufgenommen, als jener der Hoffnung Ausdruck ver­leiht, daß ein Spreedampfer voller Feriengäste nicht ankommen, und die paradiesische Ruhe verderben werde, die die Liebhaber genießen:

Das wäre dann freilich die Vertreibung aus dem Paradiese. Sie

lächeln und denken: ,Wer weiß ? und vielleicht hab ich mit meinen

Worten den Teufel schon an die Wand gemalt . 33

447