Heft 
(1984) 37
Seite
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Etwas von dem schmerzenden Nachtrauern, von der ergreifenden Wehmut des Romans rührt vom Nachhall des Sündenfalls her, diesem Verlust, den jeder wohl einmal in seinem Leben erlebt. Die Liebhaber, als Samen Adams, der Verfall und Tod in die Welt eingeführt haben soll, müssen nun, da die Reihe auch an sie gekommen ist, die Zerstörung ihres Glücks erleiden. Oder kann die Liebe trotz allem über den Tod siegen?

Lene fährt fort, ein paar gelbe Immortellen,ewige Blumen, zu pflücken. Nun sind diese gerade die Blumen, von denen Botho, der das Verlangen der Frau Nimptsch danach gut kennt, treu versprach, er würde einen Kranz davon eines Tages an das Kreuz auf ihrem Grab hängen, und er hält sein Wort. Als er erfährt, daß Frau Nimptsch gestorben ist, fährt er trotz der siedendheißen Sonnenhitze zum Jacobifriedhof in den armen Vorort, wo sie begraben ist. Auf dem Weg bietet man ihm in einer Gärtnerei rote, weiße oder gelbe an, und er wählt die gelben. Er ist treu bis ins Mark, ins Herz, nicht bloß der betrügerische Gaston in dem Mann in der eisernen Maske, den Lene als Kind so abstoßend fand. Treue wird als der bessere Teil der Liebe gesehen: sie bleibt . 34 Als Botho ankommt, findet er einen Immor­tellenkranz schon an einem Eisenständerchen (merke wohl:Eisen!) hängen:

,Ah, Lene ... immer dieselbe ... Ich komme zu spät .' 36 Lene macht ihr Sträußchen. Um es zu binden, reißt sie auf Bothos Bitten ein Haar von ihrem Kopf; sie macht es unwillig, weil, wie sie sagt,

,Haar bindet . 1 Und wenn ich es um den Strauß binde, so bist du mitgebunden . 36

auf Ewig. Botho wirft Lene Aberglauben vor Frau Dörr solle sie angesteckt haben aber Lene verneint mit Nachdruck und schreibt den Glauben der alten Frau Nimptsch zu, die in gewisser Hinsicht die Gestalt mit der größten Autorität im Roman ist.

Viel später, als Botho Lene hat verlassen müssen und Käthe, dielittle silly, aus gesellschaftlichen und finanziellen Gründen geheiratet hat und, so denkt er, entschlossen ist, mit der Vergangenheit zu brechen, nimmt er die alten Briefe von Lene, jene Liebesbriefe, die Käthe so lächerlich findet, wirft sie ins Feuer und danach, von abergläubischer Angst ergriffen, schließlich auch jenes Sträußchen mit dem Haarfädchen herum:

Ein Aufflackern noch und nun war alles vorbei, verglommen . 37 Und doch ist er immer noch gebunden wie vorher, dennanspruchsvoll 38 wie er ist: Er will nicht frei sein.

Es liegt an diesem sparsamen Kräfteaufwand, am einfühlsamen Ein flechten von unzähligen vielsagenden Einfällen, daß der Roman trotz seiner Kürze jene Eindringlichkeit besitzt, die ihm so eigen ist:

Sinne und Leidenschaften reden und verstehen nichts als Bilder. In Bildern besteht der ganze Schatz menschlicher Erkenntnis und Glückseligkeit. 39

Ein kurzes Beispiel für die Kraft eines ganzen, in einem Bild dargestellten Gefühlskonglomerats gibt ein anderes fontanisches Werk, LAdultei ä, ein Roman, worin der Autor sich, sozusagen, zu seinem späteren Meisterwerk

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