Irrungen, Wirrungen vortastet. Als die ehebrecherische Melanie schließlich ihren reichen Mann, van der Straaten, wegen ihres Liebhabers, Rubehn, verläßt, wird Melanie von einer Freundin, einer gewissen Tante Riekchen, einer verkrüppelten Aristokratin, besucht, die sie auf die verheerende Wirkung hinweist, die dieser Schritt für ihre Familie, besonders ihre beiden Töchter, gehabt habe. Nach all diesen Rügen sehen wir, wie die kleine aufrechte Figur sich weigert, ihren Mantel anzuziehen, hinausstolziert, die Treppe hinunterstapft, um erst dann ihre kleinen Arme mit etwas Mühe in ihre Ärmel hineinzustecken. Indem die Gestalten (wie bei diesem Beispiel) ihre Gefühle durch Handlungen ausdrücken, laden sie gewissermaßen ihre Umgebung damit auf und rühren somit den Leser. „Vieles ist erlaubt“, rät Botho Rexin, seinem Offizierskameraden, während die beiden in der Nähe des preußischen Militärschießstandes einen Weg entlangtraben und letzterer sich an den Älteren und Vorgesetzten wegen einer ähnlichen Herzensangelegenheit um Rat wendet — einer der vielen ironischen Kontrapunkte des Romans — „nur nicht das, was die Seele trifft, nur nicht Herzen hineinziehen und wenn’s auch bloß das eigne wäre.“ 40 Betrug gehört nicht zur Liebe, Selbstbetrug erst recht nicht.
— Auch nicht zum Schreiben. In einem Brief an seine Frau vom 7ten August 1882 zitiert Fontane billigend Goethes Diktum:
„Die Produktion eines anständigen Dichters und Schriftstellers entspricht allemal dem Maaß seiner Erkenntnis “, 51 und schreibt weiter, daß es die Kritik ist, die diese Einsicht richtig klärt, ja strafft; der Vorgang heißt, um wieder ein goethisches Wort zu benützen, „das Gewahrwerden der Erfahrung“. 42 Man kann diesen Vorgang auch anders beschreiben: Fontane sagt selbst, er verfasse seine Romane „wie mit einem Psychographen (die grenzenlose Düftelei kommt erst nachher).“ 43 Diese Tüftelei, das Einfügen dieser genauestens organisierten Einzelheiten wird dann oft durch das personifizierende, relativierende Medium des Dialogs oder des Monologs heraufbeschworen, das ihnen etwas noch Schillernderes, Ambivalenteres, ja Menschliches gibt. Der Roman ist voll von scharfem, aber auch mitleidigem Gefühl für menschliche Beschränkung, wie, um ein weiteres Beispiel zu geben, Fontanes Skizze des übereifrig kuppelnden, sein Territorium verteidigenden Barons von Osten zeigt, der sich das Diktum aneignet:
„Nur der Reine darf alles.“ 44
„Ja, es gibt solche rätselhaften Kräfte, solche Sympathien aus Himmel oder Hölle, und nun bin ich gebunden“, 45 bemerkt Botho, als er versucht, seine Beziehung zu Lene abzubrechen.
Lenes Verzicht auf Botho hat auch bei ihr eine Narbe hinterlassen. Nachdem sie auf einer Straße in ihrem Stadtviertel das neuvermählte Paar, Käthe und Botho, sich lachend zanken sieht, wobei sich die beiden eifrig bemühen, den äußeren Schein zu wahren, fällt sie in Ohnmacht und muß leidend an jenem von Fontane oft geschilderten „Knacks“ 46 ins Bett gebracht werden. Sie erholt sich wieder, nur muß Frau Dörr jetzt merken, daß sich das Haar ihrer lieben Lene verändert hat; „Mutter Nimptsch hatte kein Auge dafür oder machte nicht viel davon.“ Natürlich Frau Dörr — wer
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