Heft 
(1984) 37
Seite
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und Lene alles um sie herum auf eine natürliche Weise mit Anmut aus­zeichnete (Tiere, Vögel, Wiesenblumen, Arbeiter und Arbeiterinnen, die Ulme, die Mahlzeit), wird diese ganze Welt durch die Ankunft von Bothos Mitoffizieren und ihren Mätressen entheiligt, zur Beute erniedrigt . 02 Königin Isabeau mit gebieterischem Argwohn bestellt eine Mahlzeit: Und dann eine süße Speise. So was mit Schlagsahne. Mir persönlich liegt nicht daran, aber die Herren, die beständig so tun, als machten sie sich nichts daraus, die sind immer fürs Süße . 03 Männer ihrer Meinung nach sind sie alle gleich, sie wollen nur alles an sich reißen. Sie muß es ja wissen; bevor sie eingesegnet war, ging sie schon auf den Strich. Warum das ganze Getue? Jeder weiß doch, was hier vorgeht, und warum auch nicht?

Wem soll es denn schaden? Sie haben sich alle nichts vorzuwerfen, und einer ist wie der andere, M

behauptet sie schamlos, wobei sie uns an Lenes nachdenkliche Bemerkung auf dem Spaziergang nach Wilmersdorf erinnert.Wer weiß. Zuletzt ist einer wie der andere . 05 Diese Bemerkung, diö von Frau Dörrs Erinne­rungen an ihren alten aristokratischen Liebhaber ausgelöst wurde, versetzte Lene schon bei dem bloßen Gedanken einen Stich ins Herz; wie es auch Botho später, oft passieren sollte, wenn Erinnerungen an Erlebnisse mit der von ihm jetzt getrennten Lenewieder vor seine Seele [traten ]. li0 Später berührte Käthe einen wunden Nerv, als sie Botho von der Kraft geistiger Vorstellungen spricht. Auf diese Weise schreitet die Handlung des Romans durch Bindeglieder weiter, die gleich feinfühlig und stark sind:

Nuancierungen sind der Stolz des Romans . 67

In Hankeis Ablage aber verletzt Botho Lene dadurch, daß er auf das Tun seiner Komplizen eingeht und sieMademoiselle Agnes Sorel tauft (nach der Mätresse Karls des Siebten) und sie so mit dem Rest der Mätressen auf eine Stufe stellt und scheinbar ihre Liebe zu einer schäbigen Liebelei erniedrigt . 08 Isabeau befragt Lene, wie es mit ihr und Botho stehe, und als ihr Opfer errötend nicht antwortet, bemerkt sie:

,Sie sind woll am Ende mit hier dabei 1 , und sie wies aufs Herz, ,und tun alles aus Liebe? Ja, Kind, denn is es schlimm, denn gibt esnen Kladderadatsch.° 9

Für die schnell gelangweilte Isabeau muß alles an jenem Tag und auch in ihrer zukünftigen Karriereorntlich organisiert werden. Ihre Auffassung vonorntlich ist eine Travestie von wahrer Ordnung: Die Menschen sind auszunützen, die Natur auszubeuten, die Zeit totzuschlagen. Demgemäß teilt Balafre, genau wie der unwirsche Baron Kurt von Osten, die Zeit auf preußische Art und Weise bis zur letzten Sekunde auf. Berechnung herrscht vor. Zuvor hatte Lene Botho eine Erdbeere in der Eden-ähnlichen Gärtnerei angeboten, eine spontaner Zuneigung entspringende Geste, die die dankbaren WorteMeine süße Lene, das hast du recht gemacht 70 her­vorrief: Jetzt aber ist diese Geste eine ordinäre Verlockung. Die aufdring­lichen Verwüster aus der Weltstadt haben keine Zeit für das Zufällige (aber nur wahre Spontaneität kann über die Zeit siegen). Johanna, die

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