sentimental wird — ein ironischer Vorgeschmack an Bothos Wallfahrt zu dem Grab von Frau Nimptsch — schlägt einen Friedhofsbesuch vor, was die höhnische Bemerkung von Isabeau veranlaßt:
„Da bleiben wir doch lieber hier und sehen gar nichts .“ 71 — Da gibt es nichts zu sehen. Gier und Böswilligkeit — mit einem Wort „lust in action“ — stecken ihre Haltung und die jener „beaux esprits“ so sehr an, daß schließlich die ganze Landschaft verdorben und zu einer Schandwüste 72 erniedrigt wird.
Bildung ist nichts im Vergleich mit Güte (unterstreicht Fontane den ganzen Roman hindurch) und kirchliche Feierlichkeiten, wie sehr sie auch zu empfehlen sind, garantieren von selbst auch nicht eheliche Liebe (obgleich es Botho klar wird, daß „Ordnung Ehe ist“) 73 . Das Lieben-Lernen ist auch nicht bloß Begleiterscheinung von dem „den-Tatsachen-ins-Gesicht- Sehen“, vom Tatsächlichkeiten-Erkennen , 74 wie nötig das auch sei. .Nein, der demütigen und darum weisen Frau Nimptsch wird das Geheimnis gegeben (und zwar als sie in der Unterhaltung über Gideon Frankes Güte bemerkt, daß es Gottes Gnade sei, die entscheide): Die Wirklichkeit ist geheimnisvoll. Durch ihre Herzensgüte verwandelt Frau Nimptsch im Nu die arme Dörrsche Wohnung in ein Schloß, als sie mit schelmischer Gastfreundlichkeit ihre Dankbarkeit für die Herablassung ausdrückt, die Frau Dörr durch ihren Besuch gezeigt hat:
„,Na, das is recht, liebe Frau Dörr, daß Sie mal wieder ’rüberkom- men. Und doch dazu von’s Schloß.' Denn ein Schloß is es und bleibt es. Hat ja ’nen. Turm. Un nu setzen Sie sich ... “‘ 75 Solche warmherzige Höflichkeit wie die von Lene, ihrer Pflegemutter und von Gideon ist stärker und letzten Endes wirklicher als Serges ganzer falscher „Schnack“, des nüchternen Wedells abweisende Haltung: „Schloß ist Schloß“ 70 , als Bothos geschicktes, aber leeres Gerede von Morellen und Schlössern, als der Sumpf der Frau Dörr, als das unfruchtbare Herumkutschieren der Käthe und des Herrn Armstrong dummer Stolz, nicht zuletzt stärker und wirklicher als die Lüsternheit der Prostituierten. Schließlich, wie wird denn „ideelle Transparenz “, 77 „claritas“, Durchsichtigkeit, die Kunst des Romanschreibers, eine immer lebhaftere Einsicht in das Wesen von Liebe und Begierde, ja in Geheimnisse aller Art zu gewähren, erzielt? Alle Bilder der Welt wirken nicht, wenn der wahre Geist nicht dahinter ist. Wenn er echt ist, zählen sogar Fehler nicht, wie bei dem für Käthe falsch buchstabierten „Wilkommen “ 78 der Bedienten, oder in Lenes Briefen; im Gegenteil solche Fehler können die Äußerung noch gewinnender machen. Fontane fand sogar Turgenjew und Zola, so geschickt sie auch waren, unzulänglich, denn es fehle dem einen wenigstens bei Werken wie „Rauch“ oder „Neuland“, „Verklärung “, 79 wie dem anderen ..eine schöne Seele “: 80 nur sie belebe, ja beseele letzten Endes den Stoff. Mete, Fontanes geliebte Tochter, bekam eine tiefgründige Antwort, als sie in einem Brief an ihren Vater den Ausdruck „liebenswürdigen, beinah wohlwollenden Menschen“ benützte. Der Schriftsteller geht auf ihre Worte ein, arbeitet sie auf seine liebevolle und sorgfältige Art aus und drückt dabei den Geist aus, der Irrungen, Wirrungen erhellt:
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