Heft 
(1984) 37
Seite
457
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Helen E. Chambers (Leeds)

Mond und Sterne in Fontanes Werken

[übersetzt von Ulrike Horstmann-Guthrie]

Häufig wiederkehrende Naturmotive ziehen die Aufmerksamkeit der Fontane-Forscher immer mehr auf sich. Hubert Ohls Studie Bild und Wirklichkeit ist in dieser Hinsicht besonders aufschlußreich . 1 Über Fontanes Landschaftsbeschreibungen stellt er fest,

... daß nach Fontanes Meinung alle Landschaftbeschreibung in der Dichtung im Dienste der Menschendarstellung steht und jedenfalls auf ihren zeichenhaften Charakter hin angesehen, nicht aber als .individuell geschaute' oder gar .realistisch' gemeinte Landschaft aufgefaßt werden will 2 und fügt hinzu:

die von ihm geschaffenen Landschaften bilden keine empirische Realität ab, sondern haben eine poetische Funktion im ganzen seiner Dichtungen. Ihre einzelnen Elemente kehren immer wieder und sind von einem Roman zum anderen austauschbar, weil es auf ihre Ausdrucksfunktion, nicht aber auf ihren empirischen Inhalt an­kommt . 3

Im folgenden soll die Funktion als Symbol von zwei der am häufigsten verwendeten Naturmotive Fontanes untersucht werden, des Mondes und der Sterne, und es soll versucht werden, ihre dichterische Funktion und ihren Rang unter dem Gesichtspunkt des Realismus zu analysieren. Die Wahl von Mond- und Sternmotiven ist in gewissem Sinne willkürlich. Die Motive des Sonnenuntergangs oder des Novemberhimmels hätten ebenso interessant sein können, oder auch, wie Keitel vorschlägt, die der Herbstszenen . 4 Mond und Sterne gehören jedoch zu den vorherrschenden Motiven in Fontanes Werken und sind besonders interessant wegen des ihm allein eigentümlichen Gebrauchs, den er von ihnen macht. Sie gehören wahrscheinlich zu den am häufigsten verwendeten dichterischen Motiven in jeder Sprache, und es lohnt sich, zu untersuchen, wie Fontane eine Reihe von Assoziationen herstellt, die keineswegs abgedroschen sind. Er baut eine Reihe Bezüge auf, die eine ihnen eigene ausgeprägte Inten­sität besitzen.

Allgemein gesehen birgt der Mond negative Assoziationen, verkündet Unheil, symbolisiert Anklage oder bevorstehende Schicksalswenden für die Charaktere. Der Sterne stehen für positive Werte: Gnade, Ordnung, Hoffnung für die Zukunft, Zuflucht vor gesellschaftlichen Maßregeln. Solch vereinfachte Verallgemeinerungen sind jedoch mit Vorsicht zu behandeln, und nur eine Untersuchung der Motive in ihrem jeweiligen Zusammen­hang wird ein Verständnis ihrer genauen Funktion erleichtern. Fontane, der Empiriker, sollte empirisch behandelt werden.

Vor dem Sturm bietet einen günstigen Ausgangspunkt für eine Unter­suchung der Mondmotive. Fontane war selbst der Meinung, daß eine der

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