Heft 
(1984) 37
Seite
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Gewissenbisse zu Halluzinationen geführt haben, und sagt, es sei nur der Mond vor seinem Fenster und wirklich nicht der Geist seines Opfers. Immerhin fügt Lehnert hinzu,

und der Mond ist nicht jedermanns Sache . 11

Diese Bemerkung deutet an, daß nur die Unschuldigen dem forschenden Blick des Mondes mit Gleichmütigkeit gegenübertreten können, und sie drückt außerdem eine tief verwurzelte Reaktion Fontanes aus, die er in Meine Kinderjahre dargelegt hat. V. J. Günther sieht den Mond als ein Nemesis-Symbol in Quitt und Ellernklippj 2 Seine Funktion als Motiv in Fontanes Werken geht oft über diese hinaus, oder er suggeriert eher Schuld und Anklage als daß er mit Bestimmtheit Vergeltung bedeutet. In Un­wiederbringlich kommen ähnliche Nebenbedeutungen vor, als der Mond in Frederiksborg zu Holk hereinscheint . 13 Hier klagt sein ,unheimliche(r) Blick* Holk nicht einer vollbrachten Tat an, sondern einer Geistesverfas­sung, da er im Begriff steht, sich in Ebba zu verlieben.

In Meine Kinderjahre beschreibt Fontane das Mondlicht, das in der ersten Nacht in dem baufälligen Haus in Swinemünde ins Fenster scheint, als unheimlich, und in Gedanken verbindet er es mit Gespenstern und dem Übernatürlichen . 14 Diesem Gefühl gibt auch eine der Gestalten in seinem Fragment Ehen werden im Himmel geschlossen Ausdruck:

,Ich wurde an deine Schlittenfahrt erinnert, aber wir waren nicht so allein und nicht so mitternächtig was mir damals doch einen gespen­stischen Eindruck machte, trotz des Mondes oder eigentlich gerade deshalb. Denn der Mond ist gespenstisch .* 15 Von früher Kindheit an assoziiert er das Licht des Mondes mit dunkeln oder sogar unglücklichen Ereignissen. Wenn er beschreibt, wie sein Vater in einer Novembernacht an den Gräbern der Mörder vorbeireitet, deren Hinrichtungen er als diensthabender Beamter beigewohnt hatte, beginnt er mit den Worten:

Die Mondsichel stand schon blaß zwischen zerrissenem Gewölk . 115 Es herrscht eine unheimliche Atmosphäre, und das Pferd scheut, als es zu den Gräbern kommt. Man fragt vergebens, ob dies eine getreue Wiedergabe wirklicher meteorologischer Bedingungen ist. Entweder war Fontane zu der Zeit von dem bleichen Licht des Mondes inmitten dahinjagender Wol­ken so beeindruckt, daß ihm das Bild im Gedächtnis blieb und er es mit Ängsten vor dem Übernatürlichen verband, oder er schuf im späteren Leben genau dieses Bild als objektives Korrelat solcher Ängste. Gegen Ende seines Aufenthalts in Swinemünde beschreibt er den Mond noch einmal. In diesem Fall garantiert die ausführliche Genauigkeit der Beschreibung ihre Authentizität:

Jeden Nachmittag gegen Sonnenuntergang gingen wir hinaus, um auf diesen Tümpeln Schlittschuh zu laufen. Es war ein herrliches Vergnügen, das Eis blink und blank, und wenn dann der Mond wie eine kupferne Scheibe aufging und sein seltsames Licht durch die Erlen und Binsen warf, die den Tümpel einfaßten, so wurde ich jedesmal von einem geheimen Schauer erfaßt. Ich gab dann das

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