zwischen Effi und Innstetten. Es ist bemerkenswert, daß Effi im Begriff noch eine weitere Rolle anzunehmen, auf die sie sich nicht genügend vorbereitet fühlt, nämlich die Mutterrolle, wieder von Befürchtungen geplagt wird, die sie als Furcht vor dem Unheimlichen in ihrer Umgebung erfährt. Ihre Furcht ist ein indirekter Ausdruck ihres Unbehagens angesichts der Lage, in der sie sich befindet.
Auf ihrer Rückfahrt im Schlitten von der Silvesterfeier ist es nicht der Vollmond, sondern:
der matte Schein der Mondsichel 21
der unaufdringlich dazu dient, bevorstehende Probleme anzudeuten. Wieder erinnert die Beschreibung des Mondscheines an Meine Kinder- jahre. v ‘ Diesmal gibt es keinen Hinweis darauf, daß dies eine subjektive Vorstellung Effis sei. Die objektivere Vermittlung durch das Naturphänomen deutet an, daß der Autor das Motiv hier als ein Schicksalssymbol verwendet, ein Vorzeichen zukünftiger Schuld. Diese Heimfahrt ist es ja, auf der Crampas seine ersten Annäherungsversuche macht, und Effi nachgibt. Das Motiv tritt in Kapitel 24 wieder auf, am Ende des berühmten Abschnittes über Effis Versuch, ihr Inneres zu erforschen und mit ihren Schuldgefühlen fertig zu werden, was ihr nicht gelingt. Sie blickt aus ihrem Schlafzimmerfenster, während sie nachdenkt, und die Szene endet wie so viele von Fontanes Beschreibungen seelischer Krisen mit einer Naturbeschreibung:
... nur der Mondschein lag noch auf dem Grasplatz, und nur auf die Platanen rauschte es nach wie vor wie leiser Regen nieder.
Aber es war nur Nachtluft, die ging. 23
Kurz vor dem Ende des Romans begegnet die Szene noch einmal in anderer Form. Diesmal ist sie nicht von Mondschein erleuchtet, der Schuld bedeutet, sondern von dem Licht der Sterne, das für Gnade und Frieden steht. 2 '’ Auf diese Weise spiegelt die Sprache in ihren Naturbildern die Verwandlung von Effis seelischem Zustand, von beunruhigender Erfahrung und Schuld zu heiterer Aussöhnung mit ihrem Schicksal; eine Bildersprache, die auf den ersten Blick nicht mehr als realistische Beschreibung scheint. Auch in Frau Jenny Treibei verdeutlichen scheinbar zufällige Beobachtungen von Fakten wie das Vorhandensein des Mondes auf subtile Weise die Hauptthemen des Romans. Als Corinna und ihr Vetter und zukünftiger Bewerber um ihre Hand, Marcell, zusammen von den Treibeis zurückkehren, beschuldigt Marcell sie, ihre Kräfte mit Erfolg dafür eingesetzt zu haben, Leopold den Kopf zu verdrehen. Corinna antwortet nicht direkt auf diesen Vorwurf, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf die Stadt, die vor ihnen im Mondlicht liegt:
Dünne Nebel lagen über den Strom hin, sogen aber den Lichterglanz nicht ganz auf, der von rechts und links auf die breite Wasserfläche fiel, während die Mondsichel oben im Blauen stand, keine zwei Hand breit von dem etwas schwerfälligen Parochialkirchturm entfernt, dessen Schattenriß am anderen Ufer in aller Klarheit aufragte. ,Sieh nur“, wieder holte Corinna, ,nie hab ich den Singuhrturm in solcher Schärfe gesehen. Aber ihn schön finden, wie seit kurzem Mode
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