Heft 
(1984) 37
Seite
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logische Reaktion liefert. Das Auftreten von Schuldgefühlen kann als auf seine Weise genauso natürliches Phänomen wie das Scheinen des Mondes betrachtet werden, besonders in einer Gesellschaft, die so von Konven­tionen beherrscht ist wie die, welche Fontane darstellt.

Die Mondsichel erscheint wieder in Frau Jenny Treibei als Corinna sich gerade heimlich mit Leopold verlobt hat. Er erklärt:

,Mich drängt es, dir zu zeigen, daß ich deiner wert bin.

In diesem Augenblick wurde die Mondsichel zwischen den Baum­kronen sichtbar, und von Schloß Grunewald her, vor dem das Quartett eben angekommen war, klang es über den See herüber: Wenn nach dir ich oft vergebens In die Nacht gesehn,

Scheint der dunkle Strom des Lebens Trauernd still zu stehn ... 29

Die Passage ist voller Ironie. Das prompte Erscheinen des Mondes läßt den Leser an Corinnas und Marcells Gespräch zurückdenken und macht deutlich, wie aussichtslos Leopolds tiefempfundene Wünsche sind. Schuld­assoziationen fehlen. Hier übernimmt der Mond seine andere Hauptfunk­tion als Vorbote einer Wende, als unaufdringlicher, oft ironischer Hinweis darauf, daß die Pläne der Menschen häufig durchkreuzt werden. Die Strophe, die sie hören, stammt aus Lenaus Gedicht ,Das Mondlicht, und sie steigert die Ironie der Situation und der Nebendeutungen des Mondes. Das Gedicht erzählt von unglücklich Liebenden, die vom Schicksal getrennt sind. Sein Thema kündigt die kommende Trennung Leopolds und Corinnas an, eine Trennung, die jedoch kein sehnsuchtvolles Leiden mit sich bringt wie in Lenaus Gedicht, sondern ein glückliches Ende erleichtert. Man sieht, wie das Motiv hier in einem heiteren Zusammenhang auftaucht. Der Qual der Liebe ist ihr Nimbus genommen.

An anderer Stelle behält das Motiv die Assoziationen von durchkreuzten Plänen und verhinderter Liebe unter düsteren Umständen bei. In Vor dem Sturm geht der Halbmond auf, als Lewin und Hansen-Grell ins Freie treten, nachdem sie Hölderlins Verse gelesen haben, die auf Hansen-Grells Heldentod vorausweisen . 30 Der Mond weist hier auch auf die bevorstehende Wende hin, Kathinkas Abreise mit Graf Bninski. Nachdem er die Neuigkeit gelesen hatte, geht Lewin ans Fenster, um Trost in der Außenwelt zu suchen, aber:

Die fahle Mondsichel, eben aus dem Gewölk heraus, sah ihm ins Gesicht . 31

Die Beschreibung deutet an, daß er keinen Trost fand, sondern die unerbitt­liche Bestätigung der unangenehmen Wahrheit seines Unglückes in der Liebe. Einige Zeilen später erfahren wir:

... die Angst blieb und stieg ihm höher ins Herz.

Auch in Irrungen, Wirrungen begleitet der Mond die letzten Stadien einer Liebesgeschichte, deren unglücklicher Ausgang vorherbestimmt ist. obwohl keine Stimmung leidenschaftlicher Erregung und innerer Qual herrscht, sondern eine von sanfter Resignation und Schicksalsergebenheit, bleibt der

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