Heft 
(1984) 37
Seite
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auf die emotionellen Entwicklungen, die die schon festliegenden Assozia­tionen heraufbeschwören. Ceciles Deutung des Mondscheins ist auf einer anderen Ebene wie die Christines und Gretes Wunschdenken. Das Wetter ist tatsächlich milde, aber die emotionellen Entwicklungen nehmen eine gefährlichere Richtung. Dies geschieht nicht sofort der Ausflug nach Quedlinburg geht ohne besondere Ereignisse vonstatten. Erst einige' Tage später bei ihrer Rückkehr von Altenbrak im Mondschein ist ein Wende­punkt erreicht. Das Vorhandensein des Mondes wird indirekt angekündigt: Die Schatten aller drei fielen vorwärts auf den wie Silber blitzenden Weg . 41

In einer Konstellation, die wir in Effi Briest wieder begegnen werden, sucht die vernachlässigte Ehefrau Trost und Verständnis bei dem unerlaubten Bewerber. Als St. Arnaud zurückbleibt, um ein Denkmal genauer zu betrachten, ist Cecile auf subtile Weise treulos gegen ihn durch den Ton ihrer Stimme, als sie mit Gordon übereinstimmt, daß ihr Mann rücksichts­voll sei, und Gordon hält und küßt ihre Hand. St. Arnaud setzt die raffinierte Quälerei seiner empfindlichen Frau fort. Als sie an einem Weg­weiser zum Hexentanzplatz vorbeikommen, schlägt er spöttisch einen Umweg vor, um ihn zu besichtigen. Er weist auf die unheimliche Wirkung des Mondlichts hin und erwähnt ausdrücklich Gordons frühere Ausfüh­rungen über Hexen. Der letzte Zug von Quedlindburg rattert durch das Tal, und durch eine knappe aber eindrucksvolle Schilderung des geister­haften Mondlichts auf der Dampflokomotive spielt Fontane indirekt auf die Macht der Leidenschaften an, die die Hauptgestalten bedrohen. Der letzte Satz des Kapitels ist ein Meisterstück realistischer und lakonischer Untertreibung. Die Gruppierung der Charaktere drückt die gegenseitige Anziehung zwischen Cöcile und Gordon aus und macht gleichzeitig deutlich, daß St. Arnaud ein Außenstehender ist, der die Vorgänge kommentiert und beherrscht:

,Die wilde Jagd, sagte St. Arnaud und nahm die Tete, während Gordon und Cecile folgten.

Als Gordon durch ein Telegramm zur rechten Zeit nach Bremen gerufen worden ist, beschreibt Fontane die Szene, während er Cecile schreibt, so: Die Mondsichel stand über dem Rathaus 42 und er deutet an, daß Gordon sich jetzt der Sentimentalität hingibt. St. Arnaud bezeichnet Gordons Schreiben an seine Frau spöttisch als Mondscheinpoesie, 11 eine Bezeichnung, die die Briefe nicht nur als kon­ventionelle sentimentale Stücke abtut, sondern den Leser auch unauf­dringlich an die bedrohlicheren Nebendeutungen dieses Motives erinnert. Bei seiner ersten Begegnung mit Cecile, nachdem er von ihrer Vergangen­heit als Kurtisane erfahren hat, erinnert Gordon sie an den Heimritt von Altenbrak, und er umwirbt sie drängender und ausdrücklicher jetzt, da er glaubt, sie habe kein Recht und keine Möglichkeit, ihn zurückzuweisen . 44 An dem Morgen, nachdem Gordon sich in selbstgerechtem Zorn über Cecile ungehörig verhalten hat, befragt St. Arnaud sie über ihr Verhältnis. Ob­wohl sie ihre Unschuld beteuert, zeigt Fontane, daß sie wegen ihres Ver­haltens auf dem Heimweg von Altenbrak Schuldgefühle hat:

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