Heft 
(1984) 37
Seite
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Versionen. Als Woldemar die Schwestern Barby auf einem Schlitten vom Bahnhof nach Schloß Stechlin begleitet, herrscht eine Stimmung freudiger Erwartung, und die Sterne stehen am Himmel . 55 Das Motiv wird in der Molltonart wiederholt, als Dubslav nach Woldemars Hochzeit die gleiche Fahrt macht . 55 Er ist krank, aber hat genügend innere Kraft, seine Be­schwerden nicht zu beachten und Trost in den Sternen am Himmel zu suchen. Es ist bezeichnend, daß bei dieser Gelegenheit nur von ,Stern­geflimmer die Rede ist, eine schwächere Andeutung von Gnade und Frieden, kein verheißungsvoll strahlendes Versprechen für die Zukunft.

Eine häufige Variante der Schlittenfahrt bei Sternenschein ist die Boots­fahrt unter sternenklarem Himmel. In Grete Minde kommt die Szene zuerst als ein Bild der Selbsterfüllung in Gretes Phantasie vor:

Dabei sah sie sich am liebsten am Bug oder Steuer eines Schiffes stehen, und der Seewind ging, und es war Nachtzeit, und die Sterne funkelten. Und sie sah dann hinauf, und alles war groß und weit und frei. Und zuletzt überkam sie es wie Frieden inmitten aller Sehnsucht... 57

Wie bei Lewin werden die Sterne mit Flucht vor den Sorgen des Alltags assoziiert, mit Erlösung und Frieden, mit einer tiefempfundenen persön­lichen Erfahrung. In Graf Petöfy scheinen die Sterne auf Franziska und Egon herunter, als sie den See überqueren, und es zum Höhepunkt ihrer Beziehung kommt . 58 Ähnlich in LAdultera, wo Melanies und Rubehns Fahrt über das Wasser in Sternenlicht getaucht ist, als sie ihre erste zögernde Liebeserklärung machen . 55

Wenn das Sternmotiv Gnade verkündet, die oft mit geistiger oder seelischer Hochstimmung und Zukunftshoffnung verbunden ist, dann bezeichnet das Fehlen von Sternen umgekehrt Gnadenverlust, Absage an die Hoffnung, Verweigerung von Wünschen. In Graf Petöfy verschwindet plötzlich das verheißungsvolle Sternenlicht , 50 als der Sturm heraufzieht und Franziska und Egon von einer Katastrophe bedroht sind. Die Sterne kommen zwar wieder hervor, aber nicht in ihrer charakteristischen Gestalt, sondern unheilvoll mit einem unheimlichen Licht, das Unglück zu verkünden scheint. Fontane macht ganz deutlich (vielleicht in diesem Falle überdeut­lich), daß die äußere Umgebung die Vorgänge im Inneren der Charaktere spiegelt und beeinflußt. Die Sterne deuten an, daß eine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft für Franziska und Egon besteht, der Sturm spiegelt die zügellose Aufwallung der Leidenschaft wider, die sie erleben. Sein Nachlassen und ihre spätere Rettung symbolisiert, daß sie der Gefahr des Ehebruchs entronnen sind, und Franziska sich still mit der von ihr gewähl­ten Rolle zufrieden gibt.

In Vor dem Sturm reflektiert das Sternmotiv den Gang der Ereignisse bei dem Angriff auf Frankfurt. Als die folgenschwere Entscheidung, anzu­greifen, fällt, kommen die Sterne heraus. Die Beschreibung ist auf den ersten Blick rein meteorologisch:

Der Tauwind, der während der Nachmittagsstunden geweht, hatte nachgelassen, und es zog eine scharfe Luft von Osten her; der Him-

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