Heft 
(1984) 37
Seite
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Man könnte behaupten es sei hier unangemessen, sich auf das Sternmotiv zu berufen, da in diesem besonderen Roman bisher keine Assoziationen dieser Art festgestellt worden sind. Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, wenn man Fontanes Werk als Ganzes betrachtet und erkennt, wie Ohl nahelegt, daß es tatsächlich eine Reihe Motive gibt, die Fontane so häufig, wenn auch in unterschiedlicher Form verwendet, daß klar ist, daß sie in seinen Augen dichterischer Ausdruck einer Reihe bestimmter Neben­bedeutungen waren. Obwohl Ohl doch übertreibt, wenn er behauptet, sie seien austauschbar, scheinen sie doch in Fontanes schöpferischer Einbil­dungskraft existiert zu haben als beständige potentielle Ausdrücke für eine Reihe festgelegter Konzepte. Ob er sie ganz bewußt verwendet oder nicht, muß im Bereich der Mutmaßungen bleiben.

Als Schach nach Wuthenow fährt, um seine Lage zu überdenken, geht Fontane von seinem objektiven zu einem subjektiveren Ton über in seiner Beschreibung des Landhauses in seiner natürlichen Umgebung, Sternenlicht eingeschlossen. Das Motiv ist eng verbunden mit Schachs subjektiver emotioneller Reaktion:

Das Schloß war nichts weiter als ein alter, weißgetünchter und von einer schwarzgeteerten Balkenlage durchzogener Fachwerkbau, dem erst Schachs Mutter ... durch ein Doppeldach, einen Blitzableiter und eine prächtige, nach dem Muster von Sanssouci hergerichtete Ter­rasse das Ansehen allernüchternster Tagtäglichkeit genommen hatte. Jetzt unter dem Sternenschein, lag alles da wie das Schloß im Märchen, und Schach hielt öfters an und sah hinauf, augenscheinlich betroffen von der Schönheit des Bildes . 69

Diese Szene, in der Schach von dem Anblick seines von Sternenlicht ver­klärter Familienbesitzes flüchtig bezaubert ist, erinnert an frühere Szenen im Roman: an die Unterhaltung über Schönheit mit Prinz Louis und vor allem an die Szene, in der Schach Victoire verführt. Einen kurzen Augen­blick lang war er fähig, die innere Schönheit von Victoires Integrität zu sehen, welche die äußerliche Wirklichkeit verklärt. ,Alles ist Märchen und Wunder an Ihnen 70 mit diesen Worten gewinnt er sie. Aber bald bereut er seinen Sieg. Ebenso ist er für kurze Zeit von dem märchenhaften Anblick seines Familienbsitzes entzückt. Dies Entzücken läßt bald nach, und er kann in Wuthenow nur noch die Aussicht auf ein langweiliges und isoliertes Dasein weit entfernt von Pomp und Prunk seiner Armeelauf­bahn sehen. Er verbringt eine unruhige Nacht und findet erst Ruhe und schläft ein, als die Sterne verblassen und das Tageslicht dämmert . 71 Dies ist eine Umkehrung des Motivs, wie es in Eßi Briest und Irrungen, Wir­rungen vorkam. Schachs Dasein ist so untrennbar mit seinem gesellschaft­lichen und beruflichen Leben verknüpft und mit den Sitten und Regeln nüchterner Realität, daß er nur innerhalb dieses Rahmens seine Funktion erfüllen und Zufriedenheit finden kann. Im Gegensatz zu vielen Frauen­gestalten Fontanes, deren natürliche Neigungen sie aus dem nüchternen Alltag hinausziehen, ist Schach so abhängig von seiner Umwelt, daß er sich ein Dasein als Außenseiter nicht vorstellen kann. Er kann nicht nach den höheren poetischen Werten streben, von denen er in Victoire und auf

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