verfehlt wurde, ist umso mehr zu bedauern, als eine historisch-ideologisch fundierte komparatistische Untersuchung der deutschen Romanentwicklung noch immer ein schmerzliches Desiderat der Forschung darstellt. Die Aufgabe wie auch die Gefahren einer solchen Untersuchung sind in der Rezension von Karl Heinz Magister zu Horst Oppels umfangreicher Darstellung „Englisch-deutsche Literaturbeziehungen“ (Berlin 1971) treffend mitbezeichnet worden, als er feststellte, daß Oppel zu sehr im Bereich der „enumerativ erfaßten Parallelitäten und Unterschiede in den englischdeutschen Literaturbeziehungen“ verblieb und diese entgegen seiner eigenen Absicht nicht als „Orientierungspunkte und Merkzeichen für tieferliegende Wandlungen und Verschmelzungsprozesse“ nutzte. Die einzelnen Fakten geben so auch nicht den entscheidenden tieferen Aufschluß „über die nationale literarhistorische Entwicklung in ihrer Gesamtheit oder ihrer spezifischen Epochenproblematik noch machen sie die übernationalen literarischen Tendenzen und Traditionslinien in ihrer historischen Kausalität sichtbar“ 2 .
Auch K. ist in den eigentlich komparatistisch angelegten Teilen seines Buches über eine Aufzählung und Aneinanderreihung einzelner Fakten und Bezüge zu wenig hinausgekommen. Verantwortlich dafür ist vor allem die enge und mechanische Art, in der er sein Programm auffaßt und realisiert, ,die nationalen Literaturen als Widerspiegelung unterschiedlicher politischer und ökonomischer Verhältnisse' (7) zu untersuchen. Die Berücksichtigung objektiver geschichtlicher Faktoren reduziert sich bei K. auf den seit mehr als 200 Jahren üblichen Hinweis auf — wie schon referiert — die langanhaltende politische Zersplitterung Deutschlands, das Fehlen eines nationalen Zentrums und eine disparate Gesellschaft, deren Intellektuelle in relativer Isolierung lebten und keine Möglichkeiten zur Aneignung umfassender Welterfahrung hatten. Bis zu den ganz voraussetzungslos dargestellten Ereignissen von 1871 sieht K. in dieser Grundstruktur keine wesentliche Veränderung: dies führt zu einer Betrachtungsweise, die eine viel zu starre „nationale Tradition“ deutschen Erzählens konstruiert, die dessen realer Komplexität und Widersprüchlichkeit und folglich auch vielfältig differenzierten Wechselbeziehungen zur außerdeutschen Entwicklung nicht gerecht werden kann. 3 Dieser „nationalen Tradition“ gegenüber wird der seit Beginn des 19. Jahrhunderts stetig fortschreitende Prozeß der bürgerlichen Umwälzung in Deutschland mit seinen tiefgehenden Auswirkungen auf das Wirklichkeitsverhältnis, das Weltbild und die Wirkungsstrategien der Schriftsteller kaum jemals in Anschlag gebracht. Ohne die konzeptionelle Einbeziehung dieses Prozesses aber, der die deutschen Staaten in jeweils unterschiedlicher Intensität einbindet in die epochenbestimmende siegreiche Durchsetzung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung in den fortgeschrittenen Ländern Europas, sind die Auseinandersetzungen der deutschen Autoren mit dem Problem der Beziehungen zwischen Literatur und Wirklichkeit, mit dem Roman und in dieser Vermittlung dann mit der Literatur des Auslands nicht zu verstehen und zu deuten. Das heißt, daß das Geschichtsbewußtsein und Gegenwartsverständnis der Schriftsteller ebenso wie ihre Sicht und Wertung der Perspektiven der deutschen Gesellschaft ständig im Blickfeld bleiben