Heft 
(1984) 37
Seite
481
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verfehlt wurde, ist umso mehr zu bedauern, als eine historisch-ideologisch fundierte komparatistische Untersuchung der deutschen Romanentwicklung noch immer ein schmerzliches Desiderat der Forschung darstellt. Die Auf­gabe wie auch die Gefahren einer solchen Untersuchung sind in der Rezen­sion von Karl Heinz Magister zu Horst Oppels umfangreicher Darstellung Englisch-deutsche Literaturbeziehungen (Berlin 1971) treffend mit­bezeichnet worden, als er feststellte, daß Oppel zu sehr im Bereich der enumerativ erfaßten Parallelitäten und Unterschiede in den englisch­deutschen Literaturbeziehungen verblieb und diese entgegen seiner eigenen Absicht nicht alsOrientierungspunkte und Merkzeichen für tiefer­liegende Wandlungen und Verschmelzungsprozesse nutzte. Die einzelnen Fakten geben so auch nicht den entscheidenden tieferen Aufschlußüber die nationale literarhistorische Entwicklung in ihrer Gesamtheit oder ihrer spezifischen Epochenproblematik noch machen sie die übernationalen literarischen Tendenzen und Traditionslinien in ihrer historischen Kausali­tät sichtbar 2 .

Auch K. ist in den eigentlich komparatistisch angelegten Teilen seines Buches über eine Aufzählung und Aneinanderreihung einzelner Fakten und Bezüge zu wenig hinausgekommen. Verantwortlich dafür ist vor allem die enge und mechanische Art, in der er sein Programm auffaßt und realisiert, ,die nationalen Literaturen als Widerspiegelung unterschied­licher politischer und ökonomischer Verhältnisse' (7) zu untersuchen. Die Berücksichtigung objektiver geschichtlicher Faktoren reduziert sich bei K. auf den seit mehr als 200 Jahren üblichen Hinweis auf wie schon refe­riert die langanhaltende politische Zersplitterung Deutschlands, das Fehlen eines nationalen Zentrums und eine disparate Gesellschaft, deren Intellektuelle in relativer Isolierung lebten und keine Möglichkeiten zur Aneignung umfassender Welterfahrung hatten. Bis zu den ganz vorausset­zungslos dargestellten Ereignissen von 1871 sieht K. in dieser Grundstruk­tur keine wesentliche Veränderung: dies führt zu einer Betrachtungsweise, die eine viel zu starrenationale Tradition deutschen Erzählens kon­struiert, die dessen realer Komplexität und Widersprüchlichkeit und folglich auch vielfältig differenzierten Wechselbeziehungen zur außerdeut­schen Entwicklung nicht gerecht werden kann. 3 Diesernationalen Tra­dition gegenüber wird der seit Beginn des 19. Jahrhunderts stetig fort­schreitende Prozeß der bürgerlichen Umwälzung in Deutschland mit seinen tiefgehenden Auswirkungen auf das Wirklichkeitsverhältnis, das Weltbild und die Wirkungsstrategien der Schriftsteller kaum jemals in Anschlag gebracht. Ohne die konzeptionelle Einbeziehung dieses Prozesses aber, der die deutschen Staaten in jeweils unterschiedlicher Intensität einbindet in die epochenbestimmende siegreiche Durchsetzung der bürgerlich-kapita­listischen Gesellschaftsordnung in den fortgeschrittenen Ländern Europas, sind die Auseinandersetzungen der deutschen Autoren mit dem Problem der Beziehungen zwischen Literatur und Wirklichkeit, mit dem Roman und in dieser Vermittlung dann mit der Literatur des Auslands nicht zu ver­stehen und zu deuten. Das heißt, daß das Geschichtsbewußtsein und Gegen­wartsverständnis der Schriftsteller ebenso wie ihre Sicht und Wertung der Perspektiven der deutschen Gesellschaft ständig im Blickfeld bleiben