Andreas Bertschinger: Hermann Brochs „Pasenow“ — ein künstlicher Fontane-Roman? Zur Epochenstruktur von Wilhelminismus und Zwischenkriegszeit. Zürich und München: Artemis Verlag (224 S.) 1982
[Rez. Joachim Biener]
Es ist aktuell geworden, Broch zu Fontane in Beziehung zu setzen; die Besinnung auf die Fontane-Beziehung Brochs ist dennoch nicht neu. Sie wurde bereits zu Beginn der 30er Jahre, beim ersten Erscheinen des „Pasenow“-Romans, von der Literaturkritik artikuliert, anerkennend von Franz Blei, Edwin Rollet und Franz Gaupp, negativ-kritisch von Paul Fechter.
Die jetzigen Bemühungen dürfen sich wohl, ohne die Pionierleistung der Kritik zu schmälern, als verstärkt wissenschaftlich ansehen. Sie gehören in die wachsende Reihe genetischer und typologischer Untersuchungen zum Werk Theodor Fontanes. Nachdem Fontane oft zu den Realisten des 19. und 20. Jahrhunderts in Beziehung gesetzt worden ist, zu Russen, Engländern und Franzosen, zu deutschen Vorläufern und Nachfahren, wird er jetzt auch mit Österreichern (Hofmanntshal, Rilke, Broch) verglichen, die im Unterschied zu den bisher bemühten Bezugspunkten nicht der eindeutig realistischen Tradition zuzurechnen sind. B. will durch den Vergleich mit Fontane die mitgehende Broch-Interpretation (zum Beispiel Leo Kreutzers), die die „Schlafwandler“-Trilogie nur als Vollzug von Brochs Theorie vom Verfall der Werte ansieht, überwinden und zu objektiverer, kritischerer Broch-Betrachtung Vordringen. Darüber hinaus will er einen Beitrag zur Entwicklung des Romans im 19. und 20. Jahrhundert leisten.
Auf das Einleitungskapitel, das die Zielstellung formuliert, folgen zehn Kapitel, die man in drei Komplexe gliedern kann: Kapitel 2 bis 4 befassen sich mit den Figurenkonstellationen und den Motiven in „Pasenow“ und bei Fontane, speziell in „Irrungen, Wirrungen“, aber auch in anderen Romanen Fontanes wie „Effi Briest“, „Stechlin“ und „Frau Jneny Treibei“ (überraschenderweise nicht in „Schach von Wuthenow“). Das erste Drittel mündet in Abschnitt 5 in den „Roman als Epochenbild“. Der große Mittelabschnitt (6-8) beschäftigt sich vor allem mit Gestaltungsfragen: Figurenkonzeption, Verwendung von innerem Monolog und Dialog, Perspektivetechnik. Der Schlußteil dient der historischen, freilich auch der psycholo- disch-metaphysischen Verallgemeinerung und Einordnung.
Im Kapitel, das auf die Einleitung folgt, werden handlungsmäßige, personell-gesellschaftliche und motivische Analogien zwischen „Pasenow“ und „Irrungen, Wirrungen“, aber eben auch zu anderen Romanen Fontanes aufgedeckt. Erste weitergehende Verallgemeinerungen klingen bereits an. Während in der Roman weit Fontanes „Verlaß auf die Realität“ sei, biete die Welt Brochs das Bild von „Verunsicherung und Verwirrung“ (27). Broch filtere aus der Romanwelt Fontanes nur einzelne Züge und Aspekte
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