Heft 
(1984) 37
Seite
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Andreas Bertschinger: Hermann BrochsPasenow ein künst­licher Fontane-Roman? Zur Epochenstruktur von Wilhelminismus und Zwischenkriegszeit. Zürich und München: Artemis Verlag (224 S.) 1982

[Rez. Joachim Biener]

Es ist aktuell geworden, Broch zu Fontane in Beziehung zu setzen; die Besinnung auf die Fontane-Beziehung Brochs ist dennoch nicht neu. Sie wurde bereits zu Beginn der 30er Jahre, beim ersten Erscheinen des Pasenow-Romans, von der Literaturkritik artikuliert, anerkennend von Franz Blei, Edwin Rollet und Franz Gaupp, negativ-kritisch von Paul Fechter.

Die jetzigen Bemühungen dürfen sich wohl, ohne die Pionierleistung der Kritik zu schmälern, als verstärkt wissenschaftlich ansehen. Sie gehören in die wachsende Reihe genetischer und typologischer Untersuchungen zum Werk Theodor Fontanes. Nachdem Fontane oft zu den Realisten des 19. und 20. Jahrhunderts in Beziehung gesetzt worden ist, zu Russen, Eng­ländern und Franzosen, zu deutschen Vorläufern und Nachfahren, wird er jetzt auch mit Österreichern (Hofmanntshal, Rilke, Broch) verglichen, die im Unterschied zu den bisher bemühten Bezugspunkten nicht der eindeutig realistischen Tradition zuzurechnen sind. B. will durch den Vergleich mit Fontane die mitgehende Broch-Interpretation (zum Beispiel Leo Kreutzers), die dieSchlafwandler-Trilogie nur als Vollzug von Brochs Theorie vom Verfall der Werte ansieht, überwinden und zu objektiverer, kritischerer Broch-Betrachtung Vordringen. Darüber hinaus will er einen Beitrag zur Entwicklung des Romans im 19. und 20. Jahrhundert leisten.

Auf das Einleitungskapitel, das die Zielstellung formuliert, folgen zehn Kapitel, die man in drei Komplexe gliedern kann: Kapitel 2 bis 4 befas­sen sich mit den Figurenkonstellationen und den Motiven inPasenow und bei Fontane, speziell inIrrungen, Wirrungen, aber auch in anderen Romanen Fontanes wieEffi Briest,Stechlin undFrau Jneny Treibei (überraschenderweise nicht inSchach von Wuthenow). Das erste Drittel mündet in Abschnitt 5 in denRoman als Epochenbild. Der große Mittel­abschnitt (6-8) beschäftigt sich vor allem mit Gestaltungsfragen: Figuren­konzeption, Verwendung von innerem Monolog und Dialog, Perspektive­technik. Der Schlußteil dient der historischen, freilich auch der psycholo- disch-metaphysischen Verallgemeinerung und Einordnung.

Im Kapitel, das auf die Einleitung folgt, werden handlungsmäßige, personell-gesellschaftliche und motivische Analogien zwischenPasenow undIrrungen, Wirrungen, aber eben auch zu anderen Romanen Fontanes aufgedeckt. Erste weitergehende Verallgemeinerungen klingen bereits an. Während in der Roman weit FontanesVerlaß auf die Realität sei, biete die Welt Brochs das Bild vonVerunsicherung und Verwirrung (27). Broch filtere aus der Romanwelt Fontanes nur einzelne Züge und Aspekte

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