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rund vor uns als hätten wir sie längst gekannt. Wohl verwandelt sie sich mitunter wenn wir ihnen die Hand reichen mochten, plötzlich in den Dichter selbst. aber Niemand wird darum seine Hand zurückziehen wollen.
unter den breit ausgeführten Einzelbildern wird jedem Leser der Ausflug von Botho und Lene unvergeßlich bleiben. Der Litterarhistoriker hätte die Pflicht, an Daudet’s „Sappho“ zu erinnern, die eine ähnliche Szene in einer ähnlichen Absicht enthält. Aber Fontane kann nicht nur den Vergleich ertragen, er könnte auch wenn ihm der französische Roman vorgeschwebt hat. kühnlich behaupten, daß er die kleine Erfindung sich zu eigen gemacht hat. indem er sie ganz eigen machte. Es bleibt auch nicht der leiseste Rest französischen Wesens übrig, und gerade das Auftreten der verdächtigen Frauenzimmer mit den französischen Namen könnte garnicht Berlinischer sein. Ich möchte fast glauben, daß dieses Kapitel das neben den Musterstücken deutscher Prosa bestehen kann, noch von einem künftigen Geschlecht mit Freude wird gelesen werden.
Ein Geheimniß Fontane’s ist es. daß der aufmerksamste Leser, der gerade die kleinen Schrullen des Dichters nicht zu übersehen vermag, über viele seiner Züge in Entzücken geräth. welche dem Geschwindleser entgehen müssen. Da ist z B ein Liebesbrief Lenes, dessen orthographische Fehler, ich möchte sagen, so organisch sind, daß man fast meinen möchte: so sollte man schreiben. Und so sagen wir mutatis mutandis nach der Lesung von „Irrungen, Wirrungen“, was Botho ausruft, da er das Briefchen beendet hat: Wahrhaftig der Brief ist wie Lene selber, gut, treu, zuverlässig und die Fehler machen ihn nur noch
reizender.“
Vgl. dazu Fontanes parallelen Brief vom 10. 2. 1888 (HA. Hl. Nr. 539. 584). worin er Ludwig Pietsch mitteilt, daß er ihm seinen jüngsten Roman - d. h. Irrungen, Wirrungen - zugesandt habe und um eine Rez. bitte; vgl. ferner Frederlck Betz: .Fontanes „Irrungen, Wirrungen“. Eine Analyse der zeitgenössischen Rezeption des Romans“ in Hugo Aust (Hrsg.), a. a. O.. S. 278 (Anm.), obwohl diese Anmerkung angesichts des obigen Briefes revisionsbedürftig ist.
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Scheinbar hatte Mauhtner Fontane einen sehr anerkennenden Brief zu Irrungen, Wirrungen geschrieben.
Vgl. Brief Nr. l, Anm. 63.
F. W. Steffens; damals noch in Dresden hatte er 1884 bereits Graf Petöfy verlegt.
Vgl. dazu Fontanes Brief vom 19. 11. 1889 (Nr. 27, Anm. 3. 276): „Ich warte auch nicht wie Jul. Wolff auf Absatz von 40.000 [Exemplaren/die Hrsg.) .. . “; bzw. Fontanes Brief vom 15. 11. 1892 (Nr. 52): „ .. . Wildenbruch wird da hin gehen, wohin Jul Wolff bereits ging.“ Julius Wolff (1334—1910) war äußerst erfolgreicher Romanschriftsteller und Versepiker, der seinen Stoff vornehmlich der mittelalterlichen Geschichts- und Sagenwalt entnahm; Fontane war nicht gut auf ihn als Dichter und literarischen Großverdiener zu sprechen (vgl. Theodor Fontane. Briefe Bd. 4 [Berlin: Propyläen: 1971], Anm. zu Nr. 122, S. 227): vgl. ebenfalls Fontanes Äußerungen über Wolffs Tannhäuser (2 Bde., 1880) - veröffentlicht unter dem Titel .Versuch einer Kritik“ (1881) ln Aufzeichnungen zur Literatur. Ungedrucktes und Unbekanntes, hrsg. von Hans-Heinrich Reuter (Berltn/Wei- mar: Aufbau 1969), S. 99-102 und Anm. S. 325-27 -, welche Reuter folgendermaßen kommentierte: „Fontane beobachtete mit belustigter Verachtung den Aufstieg Wolffs zum gefeierten Modeschriftsteller des jungen Hohenzollemreiches und zum Lieblingsautor eines anspruchslos-unkritischen bourgeoisen Lesepublikums . . . Wolffs Erfolge waren für Fontane ein Symptom. Immer wieder kam er in seinen Briefen auf sie zu sprechen ...” (s. 325): so etwa am 23 12 84 in einem Schreiben an seinen Sohn Friedrich: „Julius Wolff ist ln vier Wochen schon wieder bis an 12- oder 15000 ’ran. .Gott gibt es den seinen im Schlaf. Und wer diese Höhe “mal erreicht hat. der kann sie nie wieder ganz verlieren auch wenn er das Dümmste schreibt.“ (HA, III, Nr. 345, 370-71)
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69 Fritz Mauthner: Die Fanfare (Dresden/Leipzig: Heinrich Minden 1888)- hierbei ist zu beachten, daß bereits im Erscheinungsjahr - das Buch wurde im Mal 1888 ausgeliefert - mehrere Auflagen erschienen; laut Joachim Schobeß (.Die Blblio- 4 Aufl von° r i888 0ntaneS '' Fontane BläMer 2 UW31, 8. S. 561) besaß Fontane die
70 Die Briefe Mauthners an Fontane sind bis auf wenige Ausnahmen leider nicht erhalten.
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