260
261
262
1888. Für Fontane galt der Kronprinz (1831-1888) spätere Kaiser - als
Verfechter liberaler Reformen, obwohl er ihn im Nachhinein einen „dilettantische [nl Stümper“ nannte (Brief an seine Frau vom 2. 10. 1888 [Propyläen, I, Nr 210, 351]) und bei seiner Thronbesteigung im März 1888 keine großen Hoffnungen hegte (Brief an Mete vom 11. 3. 1888 [Propyläen, II, Nr. 274, 931); Fontanes Erläuterungen zum Regierungsprogramm des Kaisers (vgl. Brief an Mete vom 13. 3. 1888 [Propyläen, II, Nr. 275, 94-95]) geben ebenfalls Anlaß zu Zweifel an Friedrichs III. Integrität und lassen offen, ob Fontane es wirklich ernst gemeint hat mit dem ,bummsfesten‘ Charakter des Kronprinzen.
Heinrich von Friedberg (1813-1895), preußischer Politiker und Jurist; Justizminister von 1879 bis 1889; Schöpfer des .Strafgesetzbuches-; wurde noch unmittelbar vor dem Thronwechsel im März 1888 in den erblichen Adelsstand erhoben: politisch ein Freund Friedrichs III.; Fontane persönlich als ,Tunnel‘-Mitglled
Bei Konjekturalpolitik handelt es sich um politische Erörterungen, die sich auf bloße Vermutungen stützen; vgl. dazu Fontanes Roman Vor dem Sturm, Kap. 14 (Aufbau-Ausg., Bd. l, S. 111).
Fontane wird an Kritiker wie Otto Arendt (geb. 1854) gedacht haben, der Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und Hrsg, der freikonservativen Zeitschrift Deutsches Wochenblatt war und dessen Entgegnungsschrift (zuerst veröffentlicht im Wochenblatt, Nr. 44 [1889], S. 518-25 unter dem Titel .Der Kronprinz und die Deutsche Kaiserkrone-; vgl. Anm. 252) Fontane sicher auch gelesen hat, da er Arendt persönlich kannte und mit dem Nationalökonomen und Politiker korrespondiert hatte; diesem Briefwechsel nach zu urteilen, könnte Fontane in Arendt eine der .neuen Kanonen mit rauchlosem Pulver- gesehen haben: „Ihre Haltung Bismarck und dem Immediatbericht gegenüber kann Ihnen nicht hoch genug angerechnet werden. Das sind die Anfänge der Freiheit, nach denen ich nun vierzig Jahre lang seufze ..." (HA, III, Nr. 635, 662 vom 6. 12. 1888). Bei Nemo (vgl. Anm. 257) kommt allerdings gerade Arendt - der den Kronprinzen scheinbar nicht persönlich gekannt hatte „und also nicht im Stande [gewesen sei], nach eigener Kenntniß zu beurteilen, ob das von Freytag entworfene Bild wahr oder nicht wahr ist“ (S. 4) — besonders schlecht weg. Freytag erwähnt Arendt zweimal in seinen Briefen: im Brief vom 7. 11. 1889 an von Stosch (Nr. 253, S. 225) nennt er Arendts Position „spekulativ“; im Brief vom 4. 11. 1889 an seine Frau (S. 332) präzisiert er diese Behauptung: „Der Dr. Arendt aber ist kein redlich Überzeugter, ich besorge, bei ihm ists Spekulation.“
Nr. 26
263
264
D. h. am Samstag, dem 9. November 1889 (vgl. Anm. 264).
Bzgl. Einzelheiten zum ,Rütli- vgl. Hermann Fricke: ,Die Ellora und das Rytly- in Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 7 (1956). S. 20 f und Fritz Behrend: ,Vom Rütli zu der Ellora- in Zeitschrift für Bücherfreunde NF 10 (1918), l, S. 29-39: Der .Rütli- war ein Seitentrieb des .Tunnel über der Spree'; laut Fricke fand die Gründung dieser Vereinigung am 9. 12. 1852 im Hause Franz Kuglers statt, veranlaßt durch Wilhelm von Merckel (die ,Rütli‘-Ordnungen von 1855 bzw. 1858 sind abgedr. bei Fricke, S. 21-22); die frühen Mitglieder (,Ur- Rütlionen") waren: Friedrich Eggers (1819-1872) = Anakreon; Paul Heyse (1830- 1914) = Hölty; Wilhelm v. Merckel (1803-1861) = Immermann; Theodor Fontane (1819-1898) = Lafontaine; Franz Kugler (1808-1858) = Lessing; Karl Bormann (1802—1882) = Metastasio; Adolf Menzel (1815-1905) = Rubens; Bernhard v. Lepel (1818-1885) = Schenkendorf; Theodor Storm (1817-1888) => Tannhäuser: später traten hinzu: Hugo v. Blomberg (1820-1871) = Maler Müller; Richard Lucae (1829 -1877) ■= Schlüter; Moritz Lazarus (1824-1903) = Leibniz; Karl Zöllner (1821-1897) = Chevalier; Karl Eggers (1826—1900) = Barkhusen sowie August von Heyden (1827-1897), Wilhelm Lübke (1826-1893) und Otto Roquette (1824-1896). Zum Namen .Rütli- vgl. den Schwur, mit dem die Schweizer Urkantone zu Anfang des 14. Jhts. auf dem Rütli, einer Bergwiese am Urnersee, ihren Bund gegen die Habsburgische Unterdrückung besiegelten (vgl. dazu auch Friedrich Schillers Drama Wilhelm Teil [1804], Akt 2, Sc. 2). Die Berliner .Rütli'-Treffen fanden jeweils samstags statt (vgl. Anm. 263); allerdings starb der .Rütli- in den späten 80er und frühen 90er Jahren eines langsamen Todes; so schreibt Fontane z. B. am 18. 4. 1888 an Otto Roquette (HA, lli, Nr. 287, 313): „Von hier ist wenig zu melden. Der Rütli lebt noch, aber wird immer kleiner. .Die beiden Maler Heyden und Menzel erscheinen nur selten auf der Bildfläche ... So tagen denn nur Zöllner, Karl Eggers, Lazarus und ich meist in alter Gemütlichkeit und wenigstens dann und wann mit einem neuen Thema.“ Am 2. 3. 1892 (Brief an August v. Heyden [HA, IV, Nr. 191, 184]) merkt er an, daß der .Rütli- auf einen „Dreimännerschwur“ zusammengeschrumpft sei, und 1897 (Brief an Moritz Lazarus vom 5. l. 1897 [HA, IV, Nr. 697, 626]) war der .Rütli- endgültig eingeschlafen.
556