Issue 
(1984) 38
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572
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belichten mußte und ein Kurzurteil zu fällen hatte, konnte Lindau im hauseigenen Blatt ziemlich souverän mit Platz und Umfang wirtschaften.- Am 7. März 1874 versammelten sich Publikum und Kritiker vor der ersten Bühne des Landes 0 , um Ernst Wicherts StückDie Realisten zu begutachten. Für Lindau wie für Fontane handelte es sich um ein schwaches Stück. Darin waren sich beide bei ihren gewiß nächtlichen Über­legungen einig. Hervorhebenswert ist die unterschiedliche Akzentuierung. Die Grundidee des 1 Stückes einamerikanischer Onkel, der deutsch­idealistisch nach Amerika auszog und unverändert gesinnt zurückkehrt, um nun dort die Verwandtschaft in einrealistisch gewordenes Völkchen' verwandelt vorzuflnden veranlaßt Fontane zum Lob. Aber er schließt daran die Frage, woher das Gefühl der Nichtbefriedigung käme, um den Grund gleich zu benennen:Der Verfasser hat sich darin der Mode nach­gehend viel, viel häufiger die Frage vorgelegt: .Wirkt es komisch?' als die Frage: ,Ist es wahr? 1 8 Der Kritiker Theodor Fontane ist dort unzufrieden und diese Unzufriedenheit nimmt mit den Jahren zu, um auch immer ver­drießlicher ausgedrückt zu werden, wo Unwahres, Verfälschendes auf­tauchte, wo Wahrheit geopfert wird, um unmittelbaren Effekt zu erzielen. Komik istfür ihn. will sie echt sein und wirken, mit dem Wahren verknüpft, Paul Lindaus Gründe, dieses Stück von Wiehert unbedeutend zu finden, wur­zeln ebenfalls in Grundelementen seiner kritischen Wertungskategorien, deren Existenz übrigens Fontane später bezweifeln wird.Wiehert,schreibt Lindau in seiner Kritik,gibt sich mit der Exposition niemals viel Mühe. 9 Damit vernachlässige er das Wesen eines jeden Theaterstückes. Die Wir­kung bleibt aus. Ehe jedoch dieses Urteil gefällt ist, nutzt Lindau jede sich bietende Gelegenheit, um zwei seiner Fähigkeiten in ein profitables Licht zu rücken. Er belehrt das Publikum mit schnoddriger Souveränität über den verfälschten Inhalt des verwendeten Titels (nach dem Realismus das Gegenteil von Idealismus sei, und zwar häßlich, was Lindau zu Recht ablehnt) und bedient die mittlerweile auch kräftig genährte Erwartung seiner Leser nach Heiterkeit. Die Rezension schließt beispielsweise mit den für den Autor schmerzlichen, den Leser aber belustigenden Sätzen: Wiehert sollte wenigstens den Titel seines neuen Lustspiels ändern; am richtigsten wäre es freilich, wenn er das ganze Stück änderte." 19 Vier Jahre später wurden die Fronten in der Sache, die hier noch unterschwellig abgesteckt wurden, für den aufmerksamen Leser deutlich. Wieder waren es Grundbegriffe wie Wahrheit und Wirksamkeit, an denen sich die beiden Kritikergeister schieden an denen nun aber auch Niveauunterschiede in der Urteilsbefähigung transparent wurden. Hugo Lubliner, der sich des Pseudonyms Hugo Bürger bediente, präsentierte im März 1878 sein StückGabriele. Die unerhebliche Geschichte zwischen einem Fabrikan­ten, seinem besten Mitarbeiter und seiner Tochter, die durch ein geplatztes Geschäft mit vielen Verwicklung abläuft, ist für Fontane Anlaß, Grund­sätzliches zu notieren. Im Bild eines Malers, der eine bloße Farbidee hat, die er zugunsten der Erkennbares fordernden Masse und damit der Form opfert, entblößt er dasRezept Lubliners.Alles, was uns hier geboten wird, ist ein auf Effekte hin konstruiertes, aber kein wirkliches Leben.** Dem Rezensenten will es nicht gelingen, auch nur eine stimmige Szene