tu entdecken - stimmig, nimmt man die Wirklichkeit, die „Sache“ zum Maß 1 -. Überall stößt er auf Geschicklichkeit, die es übernommen hat, Unwahrscheinliches szenisch zu verknüpfen. Für Fontane ist Lubliners Stück Inbegriff einer allgemeinen Misere, nach der die Routine der Fabrikation dieses Stücktypus ihre Berechtigung verloren — und damit „prätentiös“ wirkt. „Und dagegen“, so die von Empörung nicht freie Stimme des Kritikers Fontane, „muß Front gemacht werden.““ Selten hatten die Leser der Vossischen Zeitung ihren Rezensenten dermaßen aufgebracht erlebt. Hier sprach Fontane fast zum ersten Male sein Unbehagen an der Theaterkultur distanzlos aus und markierte damit die eigene Position. Was er registrierte, war Verfall, „Decadence“, — der sich in vordergründiger Affinität zu Sensationellem äußerte und, manifestierte er sich auf dem Theater, dazu angetan war, „das Wirrsal dieser Zeit zu mehren.“ 14 Und Lindau? Ihn verdrießt nicht, was Fontanes Kunst- und Wirklichkeitsnerv so empfindlich gereizt hatte. Er findet in Lubliners Stück zuviel Handlung, tu-Stoffliches, deren Verknüpfung und Lösung jedoch „scharfsinnig und geschickt“ 1 “ gelingt. Hauptmangel im „Zuviel“ sieht Lindau dort, wo Fontane dessen Existenz im Stück gänzlich bestreitet: im Tatsächlichen. „Allerdings scheint mir auch hier auf das Thatsächliche, auf das Stoffliche von Seiten des Verfassers zu großer Werth gelegt worden zu sein“, heißt es bei Lindau 10 . Doch für ihn sind diese Tatsachen bühnengerecht — so daß unter dem Strich nur wenig Negatives zu bemängeln bleibt. Die Schaltstelle der Differenz zwischen Fontane und Lindau wird kenntlich. Fast klingt es wie eine verzögerte Reaktion Fontanes auf Lindaus Lubliners Kritik, wenn er im gleichen Jahr an Wilhelm Hertz schreibt: „Lindau schreibt auch (Fontane vergleicht ihn mit Julian Schmidt — R.-G. B.) reizend und ist nicht ohne Grazie, aber es ist doch die Grazie einer Dame von der Opöra comique. Das Rot ist aufgelegt, um die Zeichen der Decadence zu verdecken.“ 17 Jahre später wird er in einem Brief an seine Frau (das Private der Äußerung in seiner Nicht-Öffentlichkeit erscheint notwendig zu betonen) das Unterhaltliche Lindauerscher Schreibweise wiederholt bekräftigen, seine Kritikerbefähigung jedoch völlig in Frage stellen: „Lindau hat gar keine Kritik ... in der Hauptsache trifft er den Nagel nie auf den Kopf ... Er ist nicht Kunstschlosser, sondern Tapezier.“ 18 Weit gefehlt, wer nun vermutet, daß Fontanes Beziehung zu Lindau eine ablehnende gewesen wäre. Erstaunlich unverhohlen bekannte er sich zu ihm, wenngleich ihm nicht daran gelegen war, nähere Kontakte zu der weltmännisch aufgezogenen Gruppe um Lindau zu knüpfen. Verwerflich wollte er diese Welt von Herzogen, Dichtern und Schauspielerinnen nicht finden.“ Relativ früh (1872) W'ar es zwischen beiden zu einem Briefaus- tausch gekommen, in dessen Verlauf Fontane besonders die GEGENWART und ihren Redakteur zu loben wußte. Paul Lindau hatte offensichtlich den ersten Schritt auf Fontane zu getan, wobei ihm sicher das Amt des Redakteurs Pate gestanden hatte. Nicht zuletzt verdankte die GEGENWART ihren Erfolg den Bemühungen zahlreicher Schriftstellei, Lindaus Projekt auch aus Eigeninteresse zu fördern. Das Bewußtsein, man brauche einander, setzte sich rasch durch. In seiner Entgegnung lobte Fontane Seiten an Lindau, die ihm Jahre später gänzlich abgesprochen wurden.
Heft
(1984) 38
Seite
573
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