„geistige Durchdringung des Gegenstandes, Vorurteilslosigkeit, Witz und Stilgefühl.“ 1 ' 2 Außer dem Witz, freilich meist an unpassender Stelle, wollten die Lindau-Gegner gerade die drei anderen Fähigkeiten bei ihm nicht entdecken. Für sie wurde Paul Lindau zur Symbolflgur einer Kunstkritik, die sich an zwei Größen orientierte — am finanziellen Erfolg und am niedrigen Genuß. Fontane ging hingegen von seiner wohlgesonnenen Grundhaltung nie ab, obwohl er sich über Lindaus Redakteurs-Schwächen völlig im klaren war. 21 Dessen generöse Souveränität im öffentlichen und privaten Umgang dürften Fontane sogar Spaß bereitet haben. 22 Paul Lindau, nun mittlerweile eine Berliner und überregionale Berühmtheit, hatte sein Glück nicht nur als Journalist und Herausgeber gesucht. Bereits vor seinem Berliner Start war sein erstes Stück — „Marion“ - entstanden, das Heinrich Laube in Leipzig sogar inszenierte. Dem folgten in zügiger Reihenfolge zahlreiche weitere Stücke. Hatte er als literaturorientierter Pressemann, der eine Dissertation über Moliere verteidigt hatte, eine Lanze für das französische „Demimonde“-Stück gebrochen, das durch seine Pointiertheit und latente (oder auch offene) Sozialanspielung theatralische Effekte erzielte, so war er natürlich auch als Theaterdichter bemüht, dem französischen Vorbild ein deutsches Pendant zur Seite zu stellen. Selten vermischten sich Leistung und Verlust derartig charakteristisch wie bei diesem Stücktyp. Ohne Zweifel war er geeignet, die Langweile und unbeholfene Schwerfälligkeit deutscher Stücke um das Jahr 1871 zu unterlaufen und das Publikum zu gewinnen. Auf der anderen Seite unterlag diese Technik des „Mächens“ dem Verschleiß in einem ungewöhnlich hohen Tempo. Was Fontane an Hugo Lubliner kritisierte (später wird er den Ausdruck Szenenaneinanderreihungskunst dafür finden), resultierte aus der Verselbständigung und Priorität einer solchen Stückfabrikation. Freilich: Lindaus Start konnte ihn kaum dazu veranlassen, diese Richtung zu verwerfen. Erfolg gibt recht. Und beinahe vorbehaltlosen Erfolg hatte Lindau bis zu jenem Zeitpunkt, da er ein Stück einstudieren ließ, das eben diesen Titel trug: „Ein Erfolg“. Der etwas übellaunige Spaß, Parodien seiner Berliner Journalistenkollegen auf der öffentlichen Bühne paradieren zu lassen, wurde zum Anlaß der ersten Anti-Lindau-Attacke. Man blies zur Jagd auf Lindau, den „frivolen Fuchs“. 23 Mit beeindruckend auffallender Gebärde versuchte man, den „Großmogul“ 2 ' 1 der modernen Kritik vom Sockel zu stoßen, ohne jedoch dabei die Wurzeln seiner Macht aufzudecken. Wo diese Wurzeln möglicherweise liegen könnten, offenbarte der an dieser ersten Angriffswelle nicht schuldlose Lindau selbst, als er seinen zornigen Kritikern per GEGENWART und damit sehr öffentlich Rache schwor! Was die Öffentlichkeit solchermaßen zwischen Pro und Kontra hin- und herwarf, beunruhigte Fontane nicht sichtlich. Sein Bild, das er von Lindau scharfsichtig zusammensetzte, zeichnete sich durch wenige Wandlungen aus. Er vermochte die öffentliche Rolle, die Lindau nun einmal spielte, als Zug der Zeit zu begreifen und den Kunstwert seiner Stücke (und später der Romane) unbeeinflußt zu erfassen. Auch dessen Nicht- Vorhandensein. Als in den achtziger Jahren Paul Lindau durch die Sprecher der naturalistischen Bewegung auf die Anklagebank gesetzt wurde 23 und der Anstiftung zum deutschen Theater- und Kulturverfall
Heft
(1984) 38
Seite
574
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