Heft 
(1984) 38
Seite
575
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für schuldig erklärt wurde, sah Fontane keinen Grund, sich zu den Richtern zu gesellen. Wo alle Welt in Lindau bereits den Drahtzieher hinter den Theater- und Pressekulissen vermutete, da zögerte Fontane nicht, Lindau persönlich seiner Sympathie zu versichern. Vergleichbares gilt von Fontanes Urteil über Lindaus Stücke. Ihm kam es nicht in den Sinn, in Lindaus Stücken den Prototypus des banalen Konversationsstückes zu brandmarken. Ganz im Gegenteil entdeckte er in ihnen einen wesentlichen Vorzug gegenüber der Durchschnittsware, die in den siebziger Jahren den dafür offenen Markt überschwemmten. Er ging soweit, daß er die Ver­mutung öffentlich aussprach, warum Lindau seinen Theater- und Jour- nalisten-Konkurrenten er selbst zählte sich nicht zu dieser Schar! um das entscheidende Quentchen voraus war:Nicht deshalb, wie seine Gegner behaupten möchten, weil er dem frivolen Zug unserer Zeit entgegen­kommt (...), auch deshalb nicht, weil er witzig, schlagfertig und voll guter Einfälle ist, sondern vielmehr deshalb, weil er über zwei Eigenschaften verfügt, die namentlich in ihrer Vereinigung keineswegs häufig angetroffen werden: gute ästhetische Schulung und bon sens. 2 ' Zweifel über deren eigentliche Qualität und Leistungsfähigkeit hatte er nicht. Gegenüber anderen Stücken vergleichbarer Anlage zog er sie vor, denn sie zeichnete eine weiter verstandene Aufgabe und Idee aus. Für ihn reduzierten sie sich so nicht auf kurzatmige Unterhaltung. Im ganzen gesehen und da dürfte das Urteil aus dem Jahre 1888 Verbindlichkeit beanspruchen waren es seiner Meinung nachTendenzstücke von der milderen Observanz. 28 Hinsichtlich der ganzen Richtung, in deren Verlauf, wie Fontane nicht müde wurde zu beobachten, die Wahrheit aus der Kunst verschwand, stand sein Urteil aber fest. Seine aufatmende Begrüßung Gerhart Hauptmanns beinhaltete so gesehen auch eine Aburteilung des theatralischen Vorfeldes, dessen Uberpanpsstadium allein die Dürftigkeit milderte.

Die Nüchternheit, mit der Fontane Paul Lindau einschätzte und die souve­räne Freundlichkeit, die sein Verhältnis zu ihm bestimmte, haben ihre Quellen in Fontanes einsichtigem und erprobtem Verständnis des Presse- und Theaterwesens. Im Gegensatz zu den meisten Zeitgenossen stellte er sich nicht gegen eine Entwicklung, die seines Erachtens notwendigerweise ablief. Person und Sache zu verwechseln verbot ihm sein geschulter Blick. Dazu war er über Jahrzehnte hinweg distanziert Beteiligter und Abhän­giger dieses Prozesses. Wo jedoch direkter Kunstsinn und unvermitteltes Wirklichkeitsverständnis im künstlerischen Schaffensprozeß gefragt waren, gab es für ihn im wesentlichen kein Pardon. Als Paul Lindau die Natura­listen diskriminierte bekannt ist seine Bemerkung, wo die Seife aufhöre, gehe die Sonne der Naturalisten auf, die er anläßlich HauptmannsVor Sonnenaufgang (1889) machte, reihte sich Fontane in die schmale Gruppe derer, die die neue Entwicklung auf dem Theater begrüßten. Man sah sich im Parkett der FREIEN BÜHNE - Lindau wie Fontane zählten zu den eingetragenen und zahlenden Mitgliedern, die nur an den Aufführungen teilnehmen konnten wieder, doch die partielle Gemein­samkeit der ersten Jahre war verloren. Die Wurzeln dieser unüberbrück­baren Sachdifferenz sind, wie es die erwähnten Kritiken (die fast beliebig zu vermehren wären) belegen, bereits in den siebziger Jahren zu suchen.