Zu vermuten steht, daß die Sympathie Fontanes (in einem Brief spridit er von dem Tendre, das er für Lindau habe 1 ') für den Herausgeber der GEGENWART nicht zuletzt auch mit dessen erfolgreich geführten Zeitschriften und ihrem „Geist“ zu tun hatte. NORD UND SÜD — 1877 gegründete Monatszeitschrift, die bevorzugt belletristische und essayistische Arbeiten publizierte — z. B. hatte Fontanes Anerkennung durch ihren „Ton“ und ihr „Publikum“, die „berlinisch, residenzlich, großstädtisch“ 1 " wären. Und für die GEGENWART galt öffentlich, daß sie neben dem MAGAZIN FÜR DIE LITTERATUR DES IN- UND AUSLANDES das vornehmste und angesehenste Blatt Deutschlands wäre. nl Ihm imponierte die Fähigkeit Lindaus, Zeitschriften zu publizieren, die nicht provinziell, engstirnig und schwerfällig waren. In Lindau fand er Vorzüge vereint, die auch Berlin von anderen Städten Deutschlands unterschied und hervorhob. Gelegenheit zu wirklichen Kollisionen gab es so kaum. 1 '- Fein- sinnigkeit und Akribie, mit der Fontane größte Unterschiede in der Beurteilung dramatischer Unternehmungen artikulierte, konnten Lindau wenig berühren. Die Geschosse, die er mittlerweile abzuwehren hatte, wiesen ein wesentlich anderes Kaliber auf. Fontane zeigte wenig Lust und Neigung, sich am Kesseltreiben zu beteiligen, das 1890 gegen Lindau begann. Seine auch persönlich begründete Zuneigung zu der Lindauschen Lebensart im Bild der Großstadt überwog die Abneigung, die in ihm dessen lärmende Öffentlichkeit und Geschäftigkeit erregte. Der Skandal, der 1890 um Lindau entbrannte, war jedoch bemerkenswert, da in ihm erste Resultate der fortschreitenden Kapitalisierung der bürgerlichen Presse öffentlich aufgedeckt und diskutiert wurden. Paul Lindau, bereits vorsichtig um Rückzug bemüht, entging der Schlachtbank nicht, auf die ihn seine Gegner nicht völlig zu unrecht haben wollten. Fast zwanzig Jahre hatte er, umstritten und geliebt, eine Entwicklung gefördert, war auf ihrer Woge geschwommen, die ihn nun unterspülte. Der Fall an sich war banal. Lindau war ein Verhältnis mit einer Schauspielerin eingegangen, das diese 1889 mit dem Anspruch löste, selbst künstlerisch produktiv zu werden. Lindau reagierte umgehend und forderte sie auf. binnen 48 Stunden Berlin zu verlassen, und versprach, ihr an einem anderen Theater ein Engagement zu verschaffen. Als sie ablehnte und versuchte, in Berlin ein eigenes Stück unterzubringen oder als Schauspielerin fest angestellt zu werden, wußte Lindau das zu vereiteln. Ihre Anstrengungen prallten an Lindaus Bekanntheit und der Angst der Branche vor Lindaus Zorn ab. Sie wandte sich an Franz Mehring, und er deckte daraufhin ein Beziehungsgeflecht auf, in dem die Öffentlichkeit Presse, Theater und Kapital verknüpft sah. An Paul Lindau wurde exemplifiziert, was eine umfangreiche Kapitalisierung der kulturellen und journalistischen Bereiche war. :t) Lindau mußte gehen. Fontane bedauerte den Verlust eines interessanten Journalisten und hatte sich in relativ kurzer Zeit den Fall zurecht gelegt, wie er sich ihm darstellte. Blieb es in einem Brief an seinen Sohn, Friedrich Fontane, noch bei einem Bonmot 34 , so regte ihn Georg Friedlaender zu einer umfassenden Meinungsäußerung an. Fontane mißbilligte Lindaus Verhalten hinsichtlich der angedrohten „Ausweisung“. Er mißbilligte gleichermaßen die Tatsache, daß sich der Verein BERLINER PRESSE vor Lindau stellte. Daß die
Heft
(1984) 38
Seite
576
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