Heft 
(1984) 38
Seite
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Tradition? Und als ich ihm antwortete:Sie spötteln darüber, hat er denn keine?, bemerkte dieser Spezialkollege:Gewiß hat er eine Tradition, und das ist seine eigene. Seit fünfundvierzig. Jahren malt er immer denselben Christus und bereist als Kunst-, aber fast auch schon als Kirchenfanatiker die ihm unterstellten Provinzen, so daß man betreffs seiner beinah sagen kann: ,Es predigt sein Christus allerorten, ist aber drum nicht schöner geworden 1 . (V, 241)

Als Künstler, als Ästhetiker und als christlicher Mensch wird Cujacius bis zum Zerrbild unterminiert. Aber selbstverständlich ist seineRück­ständigkeit ein Abbild derjenigen derPetrefakt Domina und der orts­ansässigen Herrschaften in Rheinsberg.

Vor seinem Abschied verspricht Cujacius, Woldemar eine Millais-Gravie­rung zu schicken:.Sir Isumbras, merkwürdige Schöpfung (V, 240). In einem Buch, das erst ein Jahr nach Veröffentlichung des Stechlin erschien, wird dieses Gemälde Millais folgendermaßen beschrieben:

Sir Isumbras at the Ford ... is ... to the minds of some, the greatest achievement of the artists Pre-Raphaelite days ... The picture represents a ford in thenorth countrie, a wide, fair stream on the banks of which Stands a typical peel tower. An aged knight in golden armour, riding home in the evening light, has taken up two children who have been gathering sticks, one before him and the other clinging behind ... the kindly thoughtful face of the old knight, serene in the twilight of life as the landscape in the afterglow of evening, and the varied expressions of the two children ... the elder, a girl, safer in her place in front .. . sits gazing at the kindly cavalier, with wonder and wave mingling in her expressive face. 8

Ist das nicht eine bildhafte Apotheose von Dubslav, der sich dem Lebens­ende naht? Abend, Sonnenuntergang, Dämmerung, Nachglanz, Flußüber­querung: Das alles weist auf den Übergang vom Leben in den Tod. Könnte man in dem kleinen Mädchen ein verklärtes Porträt der kleinen Agnes erkennen? Barfüßig, sie trägt zwar keine roten Strümpfe, aber sie ist in ein dunkelrotes Hemd und einen hellroten Schall gekleidet. Dieses Gemälde wurde 1857 von Millais gemalt und ausgestellt, und in diesem Jahr berichtete Fontane über die Kunstausstellungen in London und Manchester.

Es besteht auch die Möglichkeit, daß Fontane wissentlich auf die englische Versromanze. Sir Isumbras, aus dem vierzehnten Jahrhundert hingewiesen hat. Die Hinweise würden in diesem Falle anders auslaufen, aber im Mittelpunkt stünde noch immer das Zentralthema, denn es handelt sich bei diesen Versen um die Geschichte eines Ritters in Palästina, der, Hiob ähnlich, ein Unglück nach dem anderen erleidet, einschließlich des Verlusts seiner beiden Kinder an einer Furt. Er nimmt alle Heimsuchungen mit christlicher Demut auf sich und versteht sie als Buße für seinen früheren Hochmut und für sein einst übermäßiges Glück. Nach sieben Jahren Reue und Kasteiung wird er auf wunderbare Weise mit Frau und Kindern Wiedervereint und gewinnt wieder die Herrschaft über seine rebellischen

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