Heft 
(1984) 38
Seite
590
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verwendet Fontane Karikaturen als Spiegelfiguren, um Verirrungen in leibhaftiger Gestalt vorzuführen. Wer sich mit ihnen liiert, kann nur auf dem Holzweg sein. Vogelsang und Nelson haben offenbar etwas mit Trei­beis und Corinnas Scheitern zu tun. Das politische Ziel des ersteren, der Reichstag, und das private Ziel der letzteren, die reiche Heirat, werden also von Anfang an durch die beiden Ehrengäste miteinander verbunden und als gleich wichtig charakterisiert. Schon daraus läßt sich entnehmen, daß es nicht ratsam erscheint, Treibeis Reichstagspläne als peripher und Corinnas Heiratspläne als ausschließliches Handlungszentrum des Romans anzusehen. Erkennt man statt dessen die so verschiedenen Ambitionen der beiden als die zwei Seiten einer Medaille, dann erschließen sich auch bisher anscheinend zu wenig beachtete inhaltliche und kompositorische Elemente von Frau Jenny Treibei. Anders gesagt: Das Buch ist nicht die Geschichte einer, sondern zweier Verirrungen, der Treibeis in die Politik und der Corinnas in die Familie Treibei.

Die Pläne der beiden entwickeln sich denn auch den ganzen Roman hindurch parallel. Sie werden in den ersten Kapiteln während des Diners über Vogelsang und Nelson gleichzeitig' vorangetrieben. Sie erreichen in der Mitte des Buches gleichzeitig ihren Höhepunkt und ihre Peripetie, denn das 9. Kapitel beschäftigt sich ausführlich mit der Wahlkampagne in Teupitz-Zossen, mit Treibeis Hoffnungen und seinen Zweifeln; er liest die Zeitungen vomKriegsschauplatz, erfährt darin, daß sein Wahlagent alsfeierlicher Narr undKurpfuscher (10S) gilt und beginnt seine innere Einkehr und Umkehr. Im anschließenden 10. Kapitel verlobt sich Corinna mit Leopold, scheint also ebenfalls ihrem Ziel nahe gerückt. Aber auch hier herrschen Zweifel, nur reflektiert sie Corinna im Unterschied zu Treibei nicht selbst; vielmehr wird die Verlobungsszene auf typisch Fontanesche Weise durch das Arrangement unterhöhlt. Nurim Schutze einer Hasel­nußhecke,unter diesem Waldesdom (127) undim Schatten des hoch­stehenden Schilfes (128) wagt sich das junge Paar Treue zu schwören, weil sie Angst haben vor derstattlich vor (ihnen) dahinschreitenden Mut­ter (123) des Bräutigams; und die traurige Strophe des Lenauschen Liedes, das vom Quartett zur gleichen Zeit gesungen wird und das sinniger Weise aus den Schilfliedern stammt, handelt von unerfüllter sehnsüchtiger Liebe.

Während Jenny dann im 12. Kapitel wegen seiner Verlobung mit ihrem Sohn Ärger hat, kommt Treibei von der Wahlversammlung, wo er seinen Arger losgeworden ist, indem erVogelsang schmunzelnd der Kritik preisgegeben (144) hat.

Einige Kapitel später findet auch das Scheitern der beiden unglücklichen Unternehmungen gleichzeitig statt. Treibei erfährt im 14. Kapitel,daß die Zossen-Teupitzer Wahlkampagne mit einer totalen Niederlage Vogel­sangs geendigt (163) hat, und beschließt, die Politik aufzugeben. Und im selben Kapitel beschließt Corinna, Leopold aufzugeben, indem sie einen Brief von ihm zerreißt. In der Küche bei Frau Schmolke,deren gesunde Gegenwart ihr wirklich Wohltat (167), sucht sie Trost in ihrer Verirrung. Sie zerstößt Zimt in einem Mörser, reibt sich an alten Semmeln die Wut