Heft 
(1984) 38
Seite
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auch für die weibliche Eitelkeit noch goldene Früchte zu heimsen (25), woran Jenny aber nicht glaubt. Ihm sind diedrei Orden en miniature, unter denen ein rumänischer der vollgültigste war [...] wirklich zu wenig. Daß er gerade dieses persönliche Motiv mit dem SatzWas tut man nicht alles als Bürger und Patriot (19) kommentiert, bringt ihn in die Nähe von Vogelsangs Heuchelei.

Ohnehin hat Treibei sich zur Wahl in eine Gegend verirrt, vor der er sich hüten sollte, denn Teupitz-Zossen, so wird dreimal ausdrücklich bemerkt, (18, 28, 151) liegt an der wendischen Spree, in einerhöchst interessante[n] Gegend [...] mit allerlei Wendengöttern, die sich, bis diesen Tag in dem finsteren Geiste der Bevölkerung aussprechen sollen (28), wie Jenny zu berichten weiß. Bedenkt man, welche Rolle das Heidnisch-Wendische etwa in Effi Briest spielt, wo es immer wieder in Verbindung mit Elfis Verstoß gegen den Sittenkodex der Zeit gebracht wird, 10 dann erscheinen schon vom Ort her Treibeis Wahlanstrengungen als eine Verirrung. Ohnehin ist der Kreis dadurch leicht anrüchig, daß der Bürgermeister von Storkow dort 1844 auf den preußischen König geschossen hat, worüber sich Jenny und Vogelsang beim Diner unterhalten.

In Vogelsang sind also Treibeis politische Sünden verkörpert. Er stellt dar, wohin der Industrielle sich zu seinem Schaden verirrt, in eine Mischung von abstrusem politischem Konservatismus, durchsetzt mit Res­sentiment und Egoismus, und in eine politisch dubiose Gegend, die Treibei selbst anscheinend nie betritt. Die Reaktionen der Presse auf Treibeis Wahlkampagne lassen erkennen, daß man Vogelsang für einenfeierlichen Narren, einenKurpfuscher (105), einen Reaktionär hält und daß es für Treibei besser gewesen wäre, bei seinen alten gemäßigt liberalen Einstel­lungen zu bleiben:

Außerdem sind sie jetzt bei der ,Nationalzeitung 1 halbe Hofpartei, gehen mit den Frei konservativen zusammen. Es war eine Dummheit von mir, daß ich abschwenkte. Wenn ich gewartet hätte, könnt ich jetzt, in viel besserer Gesellschaft, auf Seiten der Regierung stehen. (105)

Diese Bemerkungen beziehen sich offenbar auf die Veränderung, die die Nationalliberale Partei, die stärkste Fraktion des Reichstags im ersten Jahrzehnt des Kaiserreichs, auf deren Unterstützung Bismarck mit seiner Politik während dieser Zeit angewiesen war, durchmachte. Der Schwenk nach rechts, den der Kanzler 1878 kultur-, sozial- und wirtschaftspolitisch vollzog (Ende des Kulturkampfes, Sozialistengesetze, Schutzzollpolitik), führte zur Zersplitterung der Nationalliberalen Partei, die sich über ihre Einstellung zur neuen Politik nicht einig war. Der linke Flügel, die so­genannte Sezession, spaltete sich ab 1880 ab und bildete 1884 mit der Deutschen Fortschrittspartei die Freisinnige Partei. Der rechte Flügel trennte sich schon 1879 von dem Hauptstrom der Partei, suchte Anschluß bei den Freikonservativen und wurde dadurch, wie Treibei es nannte, halbe Hofpartei. Wäre er wie die Nationalzeitung diesem rechten Flügel gefolgt, dann wäre er jetzt bei der Regierung persona grata und hätte viel bessere Chancen, seine persönlichen Ziele zu verwirklichen. Da dex Roman,

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