Heft 
(1984) 38
Seite
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dachte daran, sie zu stören. [...] Ein Sperling hatte zugehört, und wie durchdrungen von der Richtigkeit von Corinnas Auseinander­setzungen, nahm er einen Stengel, der zufällig abgebrochen war, in den Schnabel und flog damit auf das andere Dach hinüber. (167, 169)

Auffällig gleich ist in beiden Fällen auch die Pause des Nachdenkens, die unmittelbar auf diese Szene folgt. Bei Leopold:

Aber kaum, daß die Störenfriede fort waren, so waren für ihn auch die alten Betrachtungen [über seinen Mangel an Mut] wieder da. (99)

Und bei Corinna:

Die beiden Frauen aber verfielen in Schweigen und nahmen erst nach einer Viertelstunde das Gespräch wieder auf. (169) Unmittelbar vor der Verlobung wird Leopolds mangelnde Heldenhaftigkeit dem Leser noch einmal eindringlich vor Augen geführt, denn statt auf stolzen Rossen kommt erin einer langsam herantrottenden Droschke

(113) zu dem Ausflug nach Halensee; statt, wie sein Vater findet,wie ein junger Gott zu erscheinen, naht er,als ob er hingerichtet werden sollte

(114) . Durch diese Anfahrt ist sein Verlobungsbekenntnis, er sei so glück­lich,daß ich mir Schwierigkeiten und Kämpfe beinahe herbeiwünsche (128), durch das Szenische schon im voraus widerlegt.

Leopold weiß vor der Verlobung in Treptow schon genau,ich bin kein Held, und das Heldische läßt sich nicht lernen (99); Corinnas Pessimismus äußert sich nach der Verlobung indirekt. Sie kommt von Halensee nach Hause zurück und fühlt sich krank eine eigenartige Reaktion bei einem jungen Mädchen, das sich vor einer Stunde verlobt hat. Der Kopf ist ihr benommen, im Magen ist ihr eigenartig, und sie kann nur hoffen,daß sie noch mal durchkommen und alles glücklich überstehen werde (131) doppeldeutige Worte. Frau Schmolke vermutet,es wird wohl nur ein bißchen feucht gewesen sein, ein bißchen neblig und Abenddunst, worauf Corinna antwortet:Ja, neblig war es gerade, wie wir neben dem Schilf gestanden sind. (130) Es macht fast den Eindrude, als ob das nicht nur für die Natur zutrifft; auch in ihrem Inneren war es bei der Verlobung neben dem Schilf wohl neblig. Die Verlobung hat sie krank gemacht, aber ihre eigene Welt, das Zuhause und die Schmolke, stellen sie schnell wieder her, so daß sie bald in die Schinkenstulle beißen kann, die die Haushälterin eigentlich für sich selbst zubereitet hat.

Corinnas Verkennen von Mr. Nelson und ihr Verkennen von Leopolds Mangel an Heldenmut bedingen einander. Sie verdient nicht, ihre Schlacht trotzgenialer Disposition zu gewinnen, weil sie sich dabei selbst verrät und die Gefühle dem Kalkül zu opfern bereit ist, was sie mit Jenny Treibei auf eine Stufe stellen würde. Das mahnende Glockenspiel vom Turm der ParochialkircheÜb immer Treu und Redlichkeit, das sie ihrem Vetter gegenüber auf dem Nachhauseweg von Treibeis viermal auf einer Seite wiederholt, ruft die typische Überreaktion des schlechten Gewissens hervor. Ihr Bekenntnis zu ihrem Verlobten,ein Leben voller Glück und Liebe liegt vor uns (127) ist in Wirklichkeit die Aufgabe aller Redlichkeit, ist

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