dem Essen zu Schnaps und Zigarre zurückgezogen, da wartet er auf das Erscheinen von Polizeiassessor Goldammer — der Name ist schon interpretiert worden und spricht im Zusammenhang mit Vogelsang Bände —, und Otto Treibei eilt ebenfalls herbei,
weil er von langer Zeit her die der Erotik zugewendeten Wege kannte, die Goldammer bei Likör und Zigarren regelmäßig und meist sehr rasch, so daß jede Versäumnis sich strafte, zu wandeln pflegte. (43)
Treibei und Vogelsang haben unterdessen schon über den „einen Meter Brustweite“ der Majorin ein paar Worte gewechselt, und daß er Vogelsang gleich aufgefallen ist, deutet Treibei als gutes Zeichen:
Und es freut mich, daß Sie ein Auge für solche Dinge haben. Da bezeugt sich das alte Lieutenantsblut. (23) —
eine, gerade auf Vogelsang angewendete, haarsträubende Bemerkung. Jennys Gesellschafterin, Fräulein Honig, fürchte sich vor dem Kommerzienrat, „weil sie trotz des guten Rufes, dessen sich Treibei erfreute, doch von einem ängstlichen süßen Gefühl überrieselt wurde“ (107), und Jenny hätte ein „Hausmädchen, eine hübsche Blondine, [...] mit Rücksicht auf Leopolds ,mores‘ beinahe nicht engagiert“. Vielleicht wäre das besser gewesen, denn sie steht bei Treibeis Heimkehr von der Wahlversammlung am Gitter „und sprach lebhaft und unter Lachen mit einem draußen auf dem Trottoir stehenden ,Cousin' (144). Treibei vermutet, sie habe ein Verhältnis, und Jenny fürchtet sogar, sie werde als Spreewälder Amme enden, vermutlich, wenn sie ein uneheliches Kind bekommt. Als Jenny dann ihrem Mann Leopolds Verlobung verkündet, hat dieser zunächst „was von kleiner Soubrette, vielleicht auch von .Jungfrau aus dem Volke' erwartet“ (146). Sogar „unsere Majolikaschüssel“ ist bei Treibeis „mit einer Venus und einem Cupido“ (147) verziert. Herr Felgentreu hat die „hübsche WirtschaftsmamseH“ seines „Prinzipals, eines mit seiner weiblichen Umgebung oft wechselnden Witwers“ (141) geheiratet, und ihre Tochter Elfriede deutet eine harmlose Bemerkung Treibeis gleich als Anspielung auf ihre Beziehungen zu dem „früheren Hauslehrer“, dem „Pionierlieutenant“ (115) oder gar Leopold. Ein Dialogfetzen zwischen dem Ehepaar Treibei wie der folgende spricht für sich:
Guten Morgen, Jenny .. . Wie geruht?
Doch nur passabel. Die furchtbare Vogelsang hat wie ein Alp auf mir gelegen.
Ich würde gerade diese bildersprachliche Wendung doch zu vermeiden suchen. (82)
Auf diesem etwas anrüchigen Hintergrund muß wohl auch Helene Treibeis Reinlichkeits- und Tugendwahn gesehen werden, der sich in Waschzwang äußert. Sie hat, wie ihr Schwiegervater findet, wie alle Hamburgerinnen „innerlich und äußerlich so was ungewöhnlich Gewaschenes“ (85). Schon das Diner kann nicht bei ihr stattflnden, weil sie „Plättag“ (11) hat. Ihre Tochter kleidet sie fast ausschließlich in Weiß, so daß die Kleine „sofort als symbolische Figur auf den Wäscheschrank ihrer Mutter“ (87) hätte
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