gestellt werden können. Sogar Lizzis „flächserne Haare (fallen) vor lauter Pflege schon halb ins Kakerlakige“ (= Albinohafte), wie Treibei bemerkt, der überhaupt seine Zweifel hat, wenn „die Fleckenlosigkeit der Seele nach dem Seifenkonsum berechnet und die ganze Reinheit des werdenden Menschen auf die Weißheit seiner Strümpfe gestellt wird“ (109). Es scheint, als ob die Hamburgerin Helene,, die noch nicht gemerkt hat, daß die Engländer auch nicht mehr sind, was sie einmal waren, mit ihrem Sauber- keitstick unbewußt gegen das bourgeoise Milieu protestiert, in das sie hineingeheiratet hat.
In keinem anderen Roman Fontanes sind die Anspielungen auf Sexuelles in einem bestimmten Milieu so dicht, denn die erotische Patina, die in Frau Jenny Treibei über der großbürgerlichen Welt des Geldes liegt, gehört zu den Unterscheidungsmerkmalen von der kleinbürgerlichen Welt des Geistes. Dort fehlt das Erotische auffällig sogar dort, wo es legitim wäre. Marcell erläutert seinem zukünftigen Schwiegervater, wie schwierig er es findet, seiner Cousine gegenüber leidenschaftlich zu werden:
Die Leidenschaft ist etwas Plötzliches, und wenn man von seinem fünften Jahr an immer zusammengespielt [...] hat, [...] da ist von Plötzlichkeit, dieser Vorbedingung der Leidenschaft, keine Rede mehr. (75)
Denkt man an Polizeiassessor Goldammer im Treibelschen Milieu, der aus beruflicher Kenntnis aus erster Hand Erotisches so aufregend zu vermitteln weiß, daß „jede Versäumnis sich strafte“, dann wird deutlich, daß Fontane auch hier mit Entsprechungen arbeitet, daß Goldammers unerotisches Gegenbild der verstorbene Mann der Haushälterin Schmolke im Schmidtschen Haus ist. Er war ebenfalls Polizist, und was Frau Schmolke Corinna über ihren toten Mann erzählt, macht den Unterschied zwischen der neureichen Bougeoisie und der unverdorbenen Welt der einfachen Leute klar. Polizist Schmolke nämlich war „bei der allerschwersten (Abteilung), die für den Anstand und die gute Sitte zu sorgen hat“, und mußte unter anderem aufgegriffene Dirnen vernehmen. In der Schilderung ihrer Eheprobleme im 11. Kapitel berichtet Frau Schmolke, wie sie diese bedrohliche Nähe des Lasters gefürchtet habe, weil sie eine ständige Versuchung für ihren Mann gewesen sei: ■
Denn das ist ja gerade wie der Versucher in der Wüste:
,Dies alles schenk ich dir. 1 (133)
Aber eines Tages hat Schmolke seiner Frau die Eifersucht und die Sorgen dadurch ausgetrieben, daß er ihr „all das Elend und all den Jammer“ dargestellt hat:
[.. .] ich sage dir, Rosalie, wenn man das jeden Tag sehen muß, un hat ein Herz im Leibe un hat bei’s erste Garderegiment gedient un is für Proppertät, Strammheit und Gesundheit, na, ich sage dir, denn is es mit der Verführung un all so was vorbei, un man möchte rausgehn und weinen [...] (135)
Frau Schmolkes Erzählung insgesamt bildet einen Gegensatz zur erotischen Atmosphäre im Hause Treibei, denn dort wird aus Nicht-Sexuellem durch Anspielung Sexuelles; hier wird umgekehrt das Sexuelle seiner Anrüchig-
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