Die Funktion der zweideutigen Atmosphäre im Hause Treibei wird in dem Gespräch der Herren nach dem Diner am deutlichsten, denn Goldammer berichtet beim Erzählen von Geschichten über „unsre pikanteste Verkehrsader“ (43), die Friedrichstraße, von einer ,,neue[n] Soubrette“, die von jemandem aus den höchsten Kreisen protegiert wird, und der Hausherr kommentiert:
Kapital. Sehen Sie, Goldammer, jede Kunstrichtung ist gut, weil jede das Ideal im Auge hat. Und das Ideal ist die Hauptsache, soviel weiß ich nachgerade von meiner Frau. Aber das Idealste bleibt doch immer eine Soubrette. (44)
„Das Ideal“ ist ein Schlüsselwort des Romans, und Treibeis falscher Superlativ, „das Idealste bleibt doch immer eine Soubrette“, fügt der Diskussion des Idealen eine für das Verständnis des Buches aufschlußreiche Variante hinzu. Treibei und Schmidt bilden die Exponenten zweier entgegengesetzter, aber durchaus miteinander harmonisierender Typen des Idealen. Für den Professor ist „das wirklich Ideale nicht das meiner Freundin Jenny“, sondern
das Klassische, was sie jetzt verspotten, das ist das, was die Seele frei macht, das Kleinliche nicht kennt und das Christliche vorahnt und vergeben und vergessen lehrt, weil wir alle das Ruhmes mangeln. (179)
Für Treibei stellt das Ideale in aller unambitiösen Ehrlichkeit eine hübsche Soubrette dar. Beide sind ehrlich vor sich selbst und setzen sich damit ausdrücklich von der heuchlerischen Position Jennys ab, die behauptet, daß sie „als Gattin eines in der Welt der Ideen und vor allem auch des Idealen stehenden Mannes wahrscheinlich glücklicher geworden wäre“ (120), die das „Ideal im Liede“ zu finden vorgibt und sich Vormacht: „Ich für meine Person verbleibe dem Ideal und werde nie darauf verzichten.“ (30) Genau auf sie trifft denn auch Fontanes eigene Definition des Bourgeois aus Von Zwanzig bis Dreißig am reinsten zu:
Alle geben sie vor, Ideale zu haben; in einem fort quasseln sie vom ,Schönen, Guten, Wahren* und knixen doch nur vor dem goldnen Kalb, entweder indem sie tatsächlich alles was Geld und Besitz heißt, umcouren oder sich doch innerlich in Sehnsucht danach verzehren. [...] jeder erscheint sich als ein Ausbund von Güte, während in Wahrheit ihr Tun nur durch ihren Vorteil bestimmt wird, was auch alle Welt einsieht, nur sie selber nicht. Sie legen sich vielmehr alles aufs Edle hin zurecht und beweisen sich und andern in einem fort ihre gänzliche Selbstlosigkeit. Und jedesmal wenn sie diesen Beweis führen, haben sie etwas Strahlendes. (35.16 f.)
Besitz- und Bildungsbürger, so scheint es, sind akzeptabel, solange sie ihren eigenen Prinzipien treu bleiben und sich ihre Gedanken und Handlungen in Übereinstimmung miteinander befinden. In seinem Bekenntnis zu den Soubretten erfüllt Treibei ebenso Schmidts Wahlspruch „Werde, der du bist“ (179) wie dieser selbst, wenn er sich zur Antike bekennt und Jenny ihre Heuchelei vergibt, oder wie Corinna, wenn sie sich von Leopold zu