Heft 
(1984) 38
Seite
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Marceil bekehrt. Jenny aber ist und bleibt die Verkörperung der heuchle­rischen Existenz und des Selbstbetrugs. Sie redet vom Idealen im Schmidt- schen Sinne und handelt nach den Grundsätzen des Geldes.

In die Gefahr solcher doppeldeutigen Existenz geraten Treibei und Corinna mit ihren Plänen, bei denen sie ihre Lebensprinzipien verraten. Beider Plan ist daherEin Schritt vom Wege (179), wie Schmidt die Treibelei seiner Tochter mit einem bekannten Lustspieltitel der Zeit denn auch nennt. Beides stellt eine Verfehlung dar, aber anders als in den meisten anderen Fontaneschen Romanen wird den gebrannten Kindern in diesem heitersten seiner Werke, seiner einzigen Prosakomödie, die Möglichkeit zur Umkehr gegeben.

Anmerkungen

1 Dieter Kafltz: Die Kritik am Bildungsbürgertum in Fontanes Roman .Frau Jenny Treibel'. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie 92 (1973), Sonderheft Theodor Fontane, S. 84, 74.

2 Hugo Aust: Anstößige Versöhnung? Zum Begriff der Versöhnung in Fontanes .Frau Jenny Treiber. In: s. Anm. 1, S. 108.

3 Alle Fontane-Zitate werden nach der Ullstein Taschenbuch Ausgabe Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes, hrsg. v. Walter Keitel und Helmuth Nürnberger, belegt. Außer bei den Zitaten aus Frau Jenny Treibei (Bd. 16) ist die Bandzahl hinzugefügt. Hat ein Zitat keinen Nachweis, dann gilt der nächste dafür mit.

4 Walter Müller-Seidel: Theodor Fontane. Soziale Romankunst ln Deutschland. Stuttgart: Metzler 1973, S. 311 f.

5 Conrad Wandrey: Theodor Fontane. München: C. H. Beck 1919, S. 262.

6 Müller-Seidel. S. 306.

7 Ebd., S. 317.

8 Richard Brinkmann: Uber die Verbindlichkeit des Unverbindlichen. München: Piper 1967, S. 13.

9 Harry E. Cartland: The Prussian Officer in Fontane's Novels: A Hlstorical Per­spective. In: The Germanic Review LII (1977), 3, S. 183-193. Cartland hält es für typisch, daß Vogelsang zugleich auch der einzige Bürgerliche unter Fontanes Offizieren ist.

10 Vgl. dazu Christian Grawe: Crampas und sein Lieblingsdichter Heine und einige damit verbundene Motive in Fontanes ,Effi Briest. In: Wilhelm Raabe Jahrbuch 1982, S. 142-164.

11An einem der letzten Maitage (7) lädt Jenny Corinna im 1. Kapitel zum Diner ein, und im letzten Kapitel feiert Corinna amLetzten Sonnabend im Juli (183) ihre Hochzeit. Vom Handlungsjahr heißt es im 2. Kapitel, daß Treibeiseit sech­zehn Jahren (17)nach dem siebziger Kriege (16) ln seiner Villa wohnt. Es gibt dem Roman drei weitere Hinweise auf die Handlungszelt, von denen zwei diese Zeitangabe bestätigen. Treibeis Frage an seine Zeitung lesende FrauWie steht es mit Gladstone? (82) bezieht sich offenbar auf die englische Regierungs­krise vom Mai/Junl 1886, als der Premierminister William Gladstone über die irischeHome Rule Bill gestürzt wurde (8. 6. 1886). Auch Schmidts Bemerkung über den Kaiser, der nicht mehrSummus Episcopus (180) sein wolle, weist aut dasselbe Jahr hin, denn im Mal 1886 wurde im preußischen Landtag der Antrag gestellt, die Bindung der evangelischen Landeskirche Preußens, deren Landes­bischof traditionell der König war, an den Staat zu lockern. Nur der dritte Hinweis auf das Handlungsjahr stimmt nicht ganz. Jenny sagt von Corinna: Duhast vorigen Winter auch Mr. Booth als Hamlet gesehen (11). Der gefeierte Hamlet-Darsteller Edwin Booth, der als erster Amerikaner auch die europäischen Bühnen eroberte, eröffnete sein enthusiastisch gefeiertes Berliner Gastspiel im Residenztheater am 11. Januar 1883 mit Hamlet und trat bis Mitte Februar ln verschiedenen Shakespeare-Rollen auf (vgl. dazu E. Riggles: Prince of Players - Edwin Booth. London: P. Davies 1933, S. 243246 und C. H. Shattuck: The Hamlet of Edwin Booth. Urbana/Chlcago/Ixjndon: University of Illinois Press 1969, S. 296-298). Corinna hat also Booth nichtvorigen Winter, sondern vor drei Jahren gesehen. Jennys Erinnerung ist also ungenau.

12 Vgl. zu diesem Motiv David Turner: Kaffee oder Milch? Das ist die Frage: Zu einer Szene aus Fontanes) ,Frau Jenny Treibel*. In: Fontane-Blätter, Bd. 3 (1974), H. 2, S. 153-159.

13 Zitiert nach Müller-Seidel, S. 252.

14 Vgl. zu diesem Motiv Aust, S. 104 f.

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