Geradezu abstrakt verliefen bei Fontane, um auf das dritte und Schlußkapitel überzugreifen, die Tode. Sie hätten insgesamt kurzen, stillen, schmerzlosen, ja monotonen und formelhaften Charakter, das Gepräge einer Nachricht. „Die physische Sphäre der menschlichen Existenz findet sich bei Fontane überhaupt nur in Andeutungen. Körperliche Symptome einer Krankheit beschreibt er mit der gleichen, äußersten Zurückhaltung wie die erotische Seite menschlicher Beziehungen. Diese Zurückhaltung läßt sich bei seinen Schilderungen von Krankheit und Kränklichkeit wohl nachweisen, beeinflußt aber das meiste durch seelische und gesellschaftliche Zustände stark mitgeprägte Geschehen kaum und mindert weder die Exaktheit noch die Eindrücklichkeit des Erzählten. In der Darstellung von Sterben und Tod hingegen bedingt der Ausschluß des Körperlichen nicht selten den Ausschluß des Lesers: Wo nämlich Denken, Sprechen und bewußtes Fühlen des Sterbenden enden, schließt sich die Türe. Was dann noch geschieht, ist aus Fontanes Erzählerwelt ausgeschlossen“ (S. ft2). Das stimmt weitgehend. Jedoch ist daran zu erinnern, daß im Falle von Cram- pas und Effi Briest gerade die balladeske, lyrisierend-lückenhafte Todesgestaltung den Leser stark affiziert. Eine breitere Darstellung des Todes würde hier sicherlich einfühlungsmindernd wirken.
Die Darstellung von Krankheit und Tod bestätigt Fontanes Suche zwischen nüchternem und künstlerischem Takt auf der einen Seite und der Neigung zu „Verklärung“ auf der anderen Seite. Im Vergleich mit Rilke und Thomas Mann, noch vor der Entfaltung der Dekadenz mit ihrer Zentralstellung des Todesmotivs und den „ausgearbeiteten“ Toden, stellt er sich gegen naturalistisch-akribische Ausgestaltung von Krankheit oder gar Tod. Angesichts des betonten Ausweichens vor dem Tode stellt sich aber auch die Frage, ob Helene Herrmann, Alfred Döblin und Gottfried Benn nicht doch ein wenig recht haben, wenn sie die Vitalität Fontanes in Zweifel ziehen.
Als interessant erweist sich auch das zweite, mittlere Kapitel, das von den Ärzten und Heilem handelt. Die Ärzte seien bei Fontane im wesentlichen freundlich gezeichnet, vor allem Rummschüttel und Wieseke in „Efifi Briest“ und Doktor Bie in „Unwiederbringlich“. Der Arzt bei Fontane sei „weniger Kämpfer gegen die Krankheit als Begleiter der durch sie Betroffenen“ (S. 87). Das Vertrauen, das er genieße, beruhe weniger auf wissenschaftlicher Qualifikation als auf seine Fähigkeit, die Macht der Krankheit zu mildern. Menschlichkeit ist also über Fachkenntnisse gestellt. Der Arzt bei Fontane versage nur dort, wo er, wie Doktor Leist beim sterbenden Tubal in „Vor dem Sturm“ oder Doktor Moscheies im „Stechlin“, gegenüber dem Patienten nicht die rechte, humane Einstellung gewinnt. Fontane besteht also auf „medicus praesens“, auf konkreter, humaner, unverdinglichter, natürlich auch von schnöder ärztlicher Geldsucht freier Beziehung zwischen Arzt und Patient. Bei einer Untersuchung von Fontanes Verhältnis zu den Wissenschaften wäre also unbedingt auch die Ärztedarstellung heranzuziehen.
Neben den Ärzten stehen die Naturheiler, die alte Buschen im „Stechlin“ und der Kuhhirt Melcher Harms in „Ellernklipp“. Der Tee der alten Buschen bringt dem alten Stechlin begründete vorübergehende Linderung.
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