Du ihn vielleicht in die Schule nehmen und einen Diplomaten aus ihm machen? Das wäre ein Hauptspaß!"
Sie begann überlaut zu lachen, und Willy, dem diese Voraussetzung ebenso komisch erschien, stimmte in der gleichen Tonart ein. Herr voll Wallmoden betheiligte sich nicht an diesem dröhnenden Ansbruch von Heiterkeit, der ihm wieder auf die Nerven zu fallen schien, er zuckte nur die Achseln.
„Das beabsichtigeich in der That nicht, es wurde auch wohl vergebliche Mühe sein. Aber ich und Willibald sind jetzt die einzigen Vertreter unserer Familie, und wenn ich wirklich unvermählt bleiben sollte - "
„Sollte? Denkst Du etwa noch daran, auf Deine alten Tage zu heirathen?" unterbrach ihn seine Schwester in ihrer rücksichtslosen Weise.
„Ich bin fünfundvierzig Jahre, liebe Rechne, das pflegt bei einem Manne noch nicht für alt zu gelten," sagte Wallmoden etwas verletzt. „Ich halte überhaupt die spät geschlossenen Ehen für die besten, man läßt sich da nicht mehr von der Leidenschaft beeinflussen, wie Falkenried es zu seinem Unglück that, sondern giebt der Vernunft das entscheidende Wort."
„Gott steh' mir bei! Soll Willy vielleicht mit dem Heirathen warten, bis er fünfzig Jahre auf dem Rücken und graue Haare auf dem Kopfe hat?" rief Frau von Eschenhagen entsetzt.
„Nein, denn er hat als einziger Sohn und künftiger Majoratsherr Rücksichten zu nehmen; übrigens kommt es dabei doch auch aufseine persönliche Neigung an. Was meinst Dil, Willibald?"
Der junge Majoratsherr, der eben mit seinem Schinken und seinen Eiern fertig geworden war und sich nun mit gesteigertem Appetit an die Wurst machte, war offenbar sehr erstaunt, daß er um seine Meinung gefragt wurde. Das Pflegte sonst nie zu geschehen, er verfiel daher in ein tiefes Nachdenken, als dessen Ergebniß er endlich erklärte: „Ja, ich werde wohl auch einmal heirathen müssen, aber die Mama wird mir schon eine Frau aussuchen, wenn es so weit ist."
„Das wird sie, mein Junge," bestätigte Frau von Eschenhagen. „Das ist meine Sache, Du brauchst Dich gar nicht darum zu kümmern, und so lange bleibst Du hier in Burgsdorf, wo ich Dich unter meinen Augen habe. Von der Universität und voll Reisen ist nicht die Rede —- abgemacht!"
Sie warf einen herausfordernden Blick auf ihren Bruder, aber dieser sah mit einer Art von Entsetzen auf die riesige Wurst-
Portion, die seiil Neffe und Mündel nun schon zum zweitenmal auf den Teller häufte.
„Hast Du immer einen so gesegneten Appetit, Willy?" fragte er.
„Immer!" versicherte Willy mit Selbstgefühl und nahm sich noch eill großes Butterbrot.
„Ja, wir leiden hier Gott sei Dank nicht an Magenbe- schwerden," sagte Frau Regine etwas anzüglich, „aber wir verdieilen uns auch rechtschaffen unser Brot. Erst beten und arbeiten und dann essen und trinken, aber gründlich, das hält Leib und Seele zusammen. Sieh Dir den Willy an, wie der dabei gerathell ist, ich meine, der kann sich sehen lassen!"
Sie schlug ihrem Bruder freundschaftlich auf die Schulter bei den letzten Worten, aber diese Freundschaftsbezeigung war so herzhafter Natur, daß Wallmoden schleunigst seinen Stuhl seitwärts rückte und sich aus dem Bereich der schwesterlicheil Nähe brachte. Sein Gesicht verrieth deutlich, daß er wieder einmal eill „gelindes Haarsträuben" empfand. Er gab es diesen urwüchsigen Verhältnissen gegenüber auf, die Vormundschaftsrechte geltend zu machen, die er ja überhaupt nur dein Namen nach ausübte. Willy dagegen fand offenbar auch, daß er außerordentlich gut gerathell sei, und sah sehr vergnügt ans bei diesem Lobe seiner Mutter, die jetzt ärgerlich fortfuhr:
„Und Hartmut ist wieder einmal nicht zum Frühstück gekommen! Er scheint sich hier in Burgsdorf alle möglichen Unpünktlichkeiten zu erlauben, aber ich werde mir den jungen Herrn ernstlich vornehmen, wenn er kommt, und ihm klar machen
„Da ist er schon!" klang eine Stimme vom Garten her. In den Hellen Sonnenschein, der durch das offene Fenster hereinsluthete, fiel ein Schatten und in dem Rahmen dieses Fensters erschien urplötzlich eine schlanke jugendliche Gestalt, die sich voll draußen auf die Brüstung schwang.
„Junge, bist Du denn ganz des Kuckucks, daß Du nun gar zum Fenster hereinkommst?" rief Frau von Eschenhagen entrüstet. „Wofür sind die Thüren da?"
„Für Willy und die anderen wohlerzogenen Menschen," lachte der Eindringling im vollstell Uebermuth. „Ich gehe immer den nächsten Weg und der führte diesmal gerade durchs Fenster." Damit sprang er mit einem Satze voll der ziemlich hohen Brüstung mitten in das Zimmer hinein. (Fortsetzung folgt.)
Hßeodor
m 30. Dezember des vergangenen Jahres feierte ein deutscher Dichter von ausgesprochener Eigenart und liebenswürdiger Begabung seinen siebzigsten Geburtstag: es ist dies Theodor Fontane, der am 30. Dezember 1819 in Neu-Ruppin geboren wurde. Er hat die Chronik seiner Vaterstadt in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" mit großem Fleiß und sehr eingehend ausgezeichnet, wie er überhaupt seine Anhänglichkeit an die heimathliche Scholle treu gewahrt hat und sein schriftstellerisches Wirken wesentlich durch dieselbe bestimmt worden ist; er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt und später die Berliner Gewerbeschule, da er sich dem Studium der Naturwissenschaften, besonders der Chemie widmen wollte. Zu diesem Zwecke begab er sich im Jahre 1840 nach Leipzig; doch fesselte ihn das erwählte Studium nicht und er wandte sich bald der Dichtkunst und litterarischen Bestrebungen zu. Im Jahre 1844 finden wir ihn, nachdem er vorher eine kurze Reise nach England unternommen, in Berlin. Hier schloß er sich dem litterarischen Verein „Tunnel" an; wahrscheinlich hat er aber schon früher einem solchen Verein allgehört; in dem Gedicht „Lebenswege" heißt es:
„. . . blutjunge Ware,
Studenten, Lieutuants, Referendare.
Rang gab's nicht,' den verlieh das Gedicht,
Und ich war ein kleines Kirchenlicht.
So stand es, als Anno 40 wir schrieben,
Aber ach, wo bist du, Sonne, geblieben?
Ich bin noch immer, was damals ich war,
Ein Lichtlein aus demselben Altar;
Aus den Lieutnants aber und Studenten Wurden Gen'rale und Chefpräsidenteu."
Im Jahre 1850 trat Theodor Fontane zuerst in die Oeffent- lichkeit mit einer kleinen Sammlung „Männer lind Helden"; ihr
A o n t a n e.
folgte der Balladencyklus „Von der schönen Nvsamunde" (1850), später „Gedichte" (1851) und „Balladen" (1861). In der zweiten, vermehrten Auflage der „Gedichte" (1875) und in der soeben erschienenen drittelt, die als eine Art von Jubelausgabe betrachtet werden kann (1889), finden sich manche neue Lieder, Balladen, geschichtliche Bilder, meist aus der preußischen Ruhmeshalle ; aber das Gepräge von Fontanes Lyrik ist dasselbe geblieben wie damals, als ihr noch der Stern der Jugend schien, und so können wir hier Fontane, den Lyriker, zusammenfassend schildern.
Er ist ill erster Linie ein volksthümlicher Balladendichter, der preußische und englische Stoffe behandelt, mit vielsagender Kürze, in knapper, aber stimmungsvoller Fassung. Seine „Männer und Helden", meistens Preußengenerale der altfritzischen Zeit, sind Bildnisse in Holzschnittmanier; sie streifen an den Bänkelsängertoll; Vorbild sind ihm vorzugsweise Rückerts „kriegerische Spott- und Ehrenlieder". Fontane hat freilich nur Ehrenlieder gedichtet. Der alte „Zieten aus dem Busch" und der verwegene Reitergeneral Seydlitz vertrugen nur eilte so derb zugreifende Verherrlichung; er trifft sehr glücklich den markigen Ton und schlaghafte Wendungell, welche entweder die einzelnen Strophen mit treffenden Wiederholungen befruchten oder dem Gedicht einen kräftigen Abschluß gebeil. „Der alte Dessauer" ist solch ein Musterstück derb volksthümlicher Art, dem am Schluß eine beherzigenswerthe Nutzanwendung nicht fehlt: „Wir haben viel von Nöthen Trotz allem guten Rath Und svllten schier erröthen Vor solchem Mann der That;
Verschnittenes Haar im Schopfe Macht nicht allein den Mann,
Ich halt' es mit dem Zopfe,
Wenn solche Männer dran."