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Dich diesem Einflüsse noch länger überließe. Diese Zusammen- ^ künfte mit Deiner Mutter haben von jetzt an ein Ende, ich ver- ! biete sie Dir. Dir begleitest mich noch heute nach Haus und j bleibst unter meiner Obhut. Ob Dir das grausam erscheint oder i nicht, es muß sein und Du wirst gehorchen." !
Aber der Major irrte, wenn er glaubte, seinen Sohn wie ! sonst mit einem bloßen Befehl unter seinen Willen zu beugen. ! Hartmut war in den letzten Tagen in einer Schule gewesen, wo ihm der Trotz gegen den Vater in wirkungsvollster Weise beigebracht worden war.
„Vater, das kannst, das darfst Du mir nicht befehlen!" brach er jetzt mit erschreckender Heftigkeit ans. „Es ist meine Mutter, die ich endlich wiedergefunden habe, die einzige, die mich liebt auf der ganzen Welt! Ich lasse sie mir nicht wieder nehmen, wie sie mir schon einmal genommen wurde; ich lasse mich nicht zwingen, sie zu hassen, weil Du sie hassest. Drohe, strafe mich, thue, was Du willst, mit mir, aber ich gehorche diesmal nicht, ich will nicht gehorchen!"
Die ganze unbändige Leidenschaft des jungen Mannes fluthete in diesen Worten, das unheimliche Feuer flammte wieder in seinen Augen, die Hände ballten sich, jede Fiber bebte in wilder Empiü rung — er war augenscheinlich entschlossen, den Kampf mit dem sonst so gefürchteten Vater aufzunehmen.
Doch der Zornausbruch, den er mit voller Bestimmtheit erwartete, kam nicht; Falkenried sah ihn nur schweigend an, aber mit einem Blick ernsten, schweren Vorwurfes.
„Die einzige, die Dich liebt auf der ganzen Welt!" wiederholte er langsam. „Du hast wohl vergessen, daß Du noch einen Vater hast!"
„Der mich aber nicht liebt!" rief Hartmut in überquellender Bitterkeit. „Erst seit ich meine Mutter wiederfand, habe ich erfahren, was Liebe ist."
„Hartmut!"
Der Jüngling sah betroffen auf bei diesem seltsamen, schmerz- durchbebten Tone, den er zum erstenmal hörte, und der Trotz, der eben wieder von neuem ausbrechen wollte, erstarb auf seinen Lippen.
„Weil ich keine Schmeichelworte und Liebkosungen für Dich hatte, weil ich Dich mit Ernst und Strenge erzog, zweifelst Du an meiner Liebe?" sagte Falkenried, noch immer in dem gleichen Tone. „Weißt Du, was diese Strenge mich gekostet hat, meinem einzigen, meinem geliebten Kinde gegenüber?"
„Vater.—?" Das Wort klang noch scheu und zögernd, aber es war nicht mehr die alte Scheu und Furcht, es lag etwas darin wie aufkeimendes Vertrauen, wie frohes, noch halb ungläubiges Staunen, und dabei hingen Hartmuts Augen wie gebannt an den Zügen des Vaters, der jetzt die Hand auf seinen Arm legte und ihn leise an sich zog, während er fortfuhr:
„Ich habe auch einst Ehrgeiz gehabt, stolze Lebenshoffnuugen, große Pläne und Entwürfe, das war zu Ende, als ein Schlag mich traf, den ich nie verwinden werde. Wenn ich jetzt noch ringe und strebe,, so spornt mich neben dem Pflichtbewußtsein nur eins noch, der Gedanke an Dich, Hartmut. In Dir ruht all mein Ehrgeiz, Deine Zukunft groß und glücklich zu gestalten, ist das einzige, was ich noch vom Leben fordere, und sie kann groß werden, mein Sohn, denn Deine Begabung ist eine ungewöhnliche, Dein Wille ein starker im Guten wie im Schlimmen. Aber es liegt noch etwas anderes, Gefährliches in Deiner Natur, das weniger Deine Schuld als Dein Verhängniß ist, und das man bei Zeiten bändigen muß, wenn es nicht überwuchern und Dich ins Unglück stürzen soll. Ich habe streng sein müssen, um diese unselige Anlage zu bannen, leicht ist mir das nicht geworden."
Das Antlitz des Knaben war wie irr Gluth getaucht, mit fliegendem Athem schien er jedes Wort voll den Lippen des Vaters zu lesen, lind jetzt sagte er in einem Flüsterton, hinter dem sich kaum noch der mühsam Verhaltelle Jubel barg:
„Ich wagte es ja bisher nicht, Dich zu lieben, Du warst immer so starr, so unzugänglich, und ich —" er brach ab und sah wieder zu dem Vater auf, der jetzt den Arm um seine Schulter legte und ihn noch fester an sich zog. Ihre Blicke tauchten tief, tief illeinander und die Stimme des sonst so eisernen Mannes brach, als er leise sagte:
„Du bist mein einziges Kind, Hartmut! Das einzige, was mir übrig geblieben ist von einem Traume des Glückes, der in
Bitterkeit und Enttäuschung zerrann. Ich habe damals viel verloren und habe es ertragen; aber wenn ich Dich verlieren sollte, Dich -— das ertrüge ich nicht!"
Seine Arme schlossen sich fest wie unlöslich um den Sohn, der sich schluchzend an seine Brust warf, und in heißer, leidenschaftlicher Umarmung, in welcher alles andere zu versinken schien, hielten sich Vater und Sohn umschlungen. Sie hatten es beide vergessen, daß noch ein Schatten aus der Vergangenheit drohend und trennend zwischen ihnen stand. —
Drüben im Eßzimmer saß inzwischen Frau voll Eschenhagen und hielt ihrem Willy eine Standrede. Sie hatte das zwar scholl heute morgen gethan, war aber der Meinung, daß die doppelte Portion in diesem Falle nicht schadeil könne. Der junge Majorats erbe sah sehr zerknirscht aus, er fühlte sich im Unrecht, sowohl der Mutter als dem Freunde gegenüber, und war doch ganz schuldlos an der Geschichte. Als gehorsamer Sohn ließ er sich aber geduldig abkanzeln und warf nur von Zeit zu Zeit einen wehmüthigen Blick auf das Vesperbrot, das bereits auf dem Tische stand, von dem aber seine Mutter vorläufig noch keine Notiz nahm.
„Das kommt davon, wenn mall hinter dem Rücken der Eltern Heimlichkeiten hat!" schloß sie ihre Strafpredigt. „Dem Hartmut wird jetzt da drüben der Kopf gewaschen, der Major wird nicht gerade sanft mit ihm verfahren, und Du, denke ich, läßt es in Zukunft auch bleiben, bei solch einem Komplott den Helfershelfer zu spielen."
„Ich habe ja nicht dabei geholfen," vertheidigte sich Willy. „Ich hatte nur versprochen, zu schweigell, und mußte doch Wort halten."
„Gegen Deine Mutter durftest Du nicht schweigell, die ist immer und überall eine Ausnahme," sagte Frau Regine bestimmt.
„Ja, Mama, das hat Hartmut wahrscheinlich auch gemeint, als es sich um seine Mutter handelte," meinte Willibald, und die Bemerkung war so richtig, daß sich schlechterdings nichts dagegen einwellden ließ; um so mehr ärgerte sich Frau von Eschenhagen darüber.
„Das ist etwas anderes, etwas ganz anderes," versetzte sie kurz, aber der junge Majoratsherr fragte hartnäckig:
„Warum ist es denn hier etwas anderes?"
„Junge, Du bringst mich noch um mit Deinen Fragen und Reden!" fuhr die Mutter zornig auf. „Das ist eine Sache, die Du nicht verstehst, auch gar nicht verstehen sollst. Schlimm genug, daß der Hartmut Dich überhaupt in Berührung damit gebracht hat. Jetzt schweigst Du und kümmerst Dich nicht weiter darum! Verstanden?"
Willy schwieg pflichtschuldigst, es war wohl das erste Mal in seinem Leben, daß man ihm zu vieles Fragen und Reden zum Vorwurf machte. Ueberdies trat jetzt sein Onkel Wallmoden ein, der soeben von einer Ausfahrt zurückkehrte.
„Falkeuried ist bereits hier, wie ich höre?" sagte er, zu seiner Schwester tretend.
„Jawohl," versetzte diese. „Er kam unverzüglich nach Empfang meines Briefes."
„Und wie hat er die Nachricht ausgenommen?"
„Aeußerlich ziemlich ruhig; aber ich merkte nur zu gut, wie es in seinem Innern aussah. Jetzt ist er allein mit Hartmut, und da wird wohl der Sturm losbrechen."
„Leider! Aber ich habe ihm diesem Ausgang vorhergesagt, als ich voll Zalikas Rückkehr hörte. Er hätte gleich damals mit seinem Sohn sprechen müssen. Jetzt, fürchte ich, fügt er einen zweiten Mißgriff zu dem ersten und sucht mit Verboten und mit Zwang eine Trennung herbeizuführen. Dieser unselige Starrsinn, der nur ein ^entweder — oder' kennt! Er ist hier gerade am wenigstell am Platze."
„Ja, mir dauert die Geschichte da drübeu auch zu lauge," sagte Frau von Escheuhagen besorgt. „Ich werde einmal nach sehen, wie weit die beiden eigentlich miteinander sind, ob der Major das übelnimmt oder nicht. Bleib' hier, Herbert, ich komme sogleich zurück."
Sie verließ das Zimmer, und während Wallmoden uumuthig auf- und niederschritt, saß sein Neffe einsam am Tische mit dem Vesperbrot, um das sich noch immer kein Mensch kümmerte. Sich