findest, ich kenne Deinen Geschmack. — Aber jetzt muß ich wirklich fort! Du führst also nicht mit nach Fürstenstein?"
„Nein, ich will Deine vielgepriesene Waldpoesie genießen, die Dir bereits langweilig zu sein scheint, da Du Besuche machen willst."
„Ja, ich bin kein Poet wie Du, der den ganzen Tag schwärmen und träumen kann," sagte Egon lachend. „Wir haben ja eine volle Woche lang ein wahres Einsiedlerdaseiu geführt, aber nur von Sonnenschein und Waldesduft und den Moralpredigten Stadingers allein kann ich nicht leben. Ich brauche Menschen, und der Oberforstmeister ist so ziemlich der einzige Umgang, den wir in der Nähe haben. Uebrigens ist dieser Herr von Schönau ein prächtiger, jovialer Mann, Du wirst ihn auch noch kennen lernen."
Er rief durch einen Wink den harrenden Wagen herbei, reichte seinem Freunde die Hand und stieg ein. Rojanow blickte ihm nach, bis das Gefährt hinter- den Bäumen verschwunden war, dann wandte er sich um uud schlug einen der Wege ein, die in den Forst führten.
Er trug die Flinte über der Schulter, dachte aber augenscheinlich nicht an Jagen und Schießen, sondern schritt, wie in Gedanken verloren, immer weiter und weiter, planlos, ohne aus den Weg und die Richtung zu achten, bis ihn ringsum die tiefste Einsamkeit umgab.
Fürst Adelsberg hatte recht, er kannte den Geschmack seines Freundes. Diese Waldpoesie mit ihrem ganzen Zauber nahm ihn gefangen. Er war endlich stehen geblieben und athmete tief, tief auf, aber die Wolke auf seiner Stirn wollte nicht Weichen, sie wurde nur düsterer, als er so an dem Stamme eines Baumes lehnte und die Augen umherschweifen ließ. Es lag etwas Friedloses und Freudloses in diesen schönen Zügen, das all die sonnige Schönheit ringsum nicht auszulöschen vermochte.
Er sah diese Gegend ja zum ersten Male; seine einstige Heimath lag weit entfernt, im Norden Deutschlands, hier erinnerte ihn nichts unmittelbar an die Vergangenheit und doch wachte gerade hier etwas auf, das längst erstorben zu sein schien, das sich nicht geregt hatte in all den Jahren, da er Länder und Meere durchmaß, da ihn die Wogen des Lebens umbrandeten und er in vollen, durstigen Zügen die Freiheit trank, der er so viel, der er alles geopfert hatte.
Die alten deutschen Wälder! Sie rauschten hier im Süden, wie dort im Norden, durch die Tannen und Eichen wehte derselbe
Hauch, der dort in den Wipfeln der Föhren flüsterte, dieselbe Stimme, die einst dem Knaben so vertraut gewesen war, wenn er auf dem moosigen Waldboden lag. Er hatte so viele andere Stimmen seitdem gehört, lockend und schmeichelnd, berauschend und begeisternd, hier klang es so ernst und doch so süß aus dem Waldesrauschen — die Heimath sprach darin zu dem verlorenen Sohne!
Da regte sich etwas drüben im Gebüsche. Hartmut blickte gleichgültig auf, in der Meinung, daß irgend ein Wild dort vorüberstreife, aber statt dessen sah er deutlich ein Helles Gewand durch die Zweige schimmern, auf einem schmalen Seitenpfad, der sich in Windungen durch den Forst zog, trat ihm eine Dame entgegen und blieb dann stehen, augenscheinlich ungewiß über den Weg und die Richtung, die sie einschlagen sollte.
Rojanow war aufgefahren, die unerwartete Begegnung weckte ihn jäh aus seinen Träumereien und rief ihn in die Wirklichkeit zurück, aber auch die Fremde hatte ihn bemerkt. Sie schien gleichfalls überrascht, doch nur einen Augenblick lang, dann trat sie näher und sagte mit einem leichten Gruße:
„Darf ich Sie bitten, mein Herr, mir den Weg nach Fürstenstein zu zeigen? Ich bin fremd hier und habe mich auf einem Spaziergange verirrt. Ich fürchte, ziemlich weit von meinem Ziele abgekommen zu sein."
Hartmut hatte mit einem raschen Blick die Erscheinung der jungen Dame gestreift und war sofort entschlossen, die Führung zu übernehmen. Er kannte zwar den Weg, nach welchem sie gefragt hatte, nicht und wußte nur ungefähr die Richtung, in welcher das Schloß lag, aber das kümmerte ihn sehr wenig, er machte eine ritterlich artige Verbeugung.
„Ich stelle mich Ihnen ganz zur Verfügung, mein gnädiges Fräulein. Fürstenstein ist allerdings ziemlich weit entfernt und Sie können den Weg unmöglich allein finden, ich muß Sie deshalb schon bitten, meine Begleitung anzunehmen."
Die Dame hatte wohl darauf gerechnet, daß man ihr den Weg einfach bezeichnen werde, die angebotene Begleitung schien ihr nicht gerade willkommen zu sein, aber sie mochte fürchten, sich ein zweites Mal zu verirren, und die vollendete Artigkeit, mit welcher das Anerbieten gemacht wurde, ließ ihr auch kaum eiue Wahl. Nach einem augenblicklichen Zögern neigte sie flüchtig das Haupt uud erwiderte:
„Ich werde Ihnen dankbar sein. Also bitte, gehen wir!"
(Fortsetzung folgt.)
Mngedruckte Briefe AriH Beuters
Me Rechte Vorbehalten.
I.
n einem einzigen Siegesläufe haben die Werke Fritz Reuters sich die Welt erobert und den Dichterruhm des mecklenburgischen Humoristen fest gegründet. Es that keinen Eintrag, daß die Dichtungen Reuters in dem wenig bekannten Dialekt des kleinen mecklenburgischen Landes geschrieben waren; an die kleine Gemeinde derer, die dieses Dialektes mächtig waren, schloß sich die große Gemeinde der Lernenden an, die sich gern mit der Mundart vertraut machteu, um einzudriugeu iu die wundervollen Schätze Reuterscher Poesie. Der Leser, der nie ein Wort des Mecklenburger Dialekts gehört hatte, fühlte sich unwiderstehlich allgeheimelt von den „Läuschen un Rimels", tief ergriffen von den erlisten Gestalten der „Stromtid", überwältigt von den rührenden Bildern iu „Kein Hüsung" und den wechselvollen Schicksalen „Hanne Nütes".
So sind auf Fritz Reuters Werke seit langem die Augen vieler Tausende gerichtet, und alles, was über den Entwicklungsgang des Dichters Licht zu verbreiten geeignet ist, begegnet einer um so lebhafteren Theilnahme, als es sich nicht verbirgt, daß durch die Gebilde seiner Phantasie seine eigenen Persönlichen Erlebnisse mannigfach Hindurchschimmern.
Wir sind in der erfreulichen Lage, die Beiträge zu der Kenntniß von Fritz Reuters Leben um eine Reihe interessanter Briefe zu bereichern, die bisher nur einmal für eine Biographie des Dichters, und zwar für diejenige aus der Feder seines berühmten Landsmannes Adolf Wilbrandt, herangezogen und zu einem kleinen Theile in der Einleitung zur Volksausgabe der Reuter- schen Werke bekannt gegeben worden sind. Von der Wiederholung
der dort abgedruckten Bruchstücke sehen wir an dieser Stelle ab; nur in einen: einzigen Briefe, dem ersten von Stuer aus datirten, mußte:: die von Wilbrandt herausgehobenen Bruchstücke bleiben, weil sie zum Verständnis: des Ganzen unentbehrlich sind. Sämmt- liche Briefe sind an Reuters vertrauten Freund Fritz Peters gerichtet und von dessen Sohn in gerechter Würdigung des Anspruches, den die Freunde des Dichters an diesen Schatz zn erhebe:: haben, uns zur Veröffentlichung übergebe:: worden.
Wir drucken die Briefe ab, so wie sie geschrieben sind, um ihnen nichts von ihrer lebendige:: und liebenswürdigen Eigenart Zu nehmen; nur hin und wieder, wo der Freund dem Freunde ganz intime Mitteilungen macht, deren Veröffentlichung nicht angezeigt erscheint, oder wo der Dichter sich wiederholt, haben wir uns zu unwesentlichen Auslassungen entschlossen.
Das Verständnis: der einzelnen Briefe haben wir durch kurze Uebergünge und Anmerkungen möglichst zn erleichtern gesucht und die Briefe nach dem Leben des Dichters zwanglos gesondert.
1. Aus dunkteu Hagen.
Wir sind über die ersten Knaben- und Jünglingsjahre Reuters verhältnißmähig gut unterrichtet, und dann wieder über die Zeit von Mitte der fünfziger Jahre bis zu seinem Tode, in welcher er als weithin bekannter Dichter sozusagen vor aller Augen lebte. Dazwischen liegt aber eine Zeit von mehr als zwanzig Jahren, die man mit Rücksicht auf die geringe Kenntniß, die man bisher von diesem Abschnitt hat, als die dunkle bezeichnen kann.