87 > »—
„In- Rodeck ist kein Winkelchen mehr frei, ich habe schon Muhe genug gehabt, die Dienerschaft nnterzubringen, die Durchlaucht mitbrachten, und nun kommen alle Tage Kisten an, groß wie die Häuser, und immer heißt es: ,Packe aus, Stadinger! Schaffe Platz, Stadinger!' Und dabei stehen in den andern Schlössern die Zimmer dutzendweise leer —"
„Brumme nicht, alter Waldgeist, sondern schaffe Platz!" unterbrach ihn der junge Fürst. „Die Sendungen werden hier in Rodeck aufgestellt, wenigstens vorläufig, und im schlimmsten Falle mußt Du Deine eigene Wohnung hergeben."
„Jawohl, Stadinger hat Raum genug in seiner Wohnung," mischte sich jetzt der zweite Herr ein. „Ich werde das selbst anordnen und ausmessen."
„Die Zenz kann ihm ja dabei helfen," unterstützte der Fürst den Vorschlag seines Genossen. „Sie ist doch daheim?"
Stadinger sah den Fragenden von oben bis unten an, dann antwortete er trocken:
„Nein, Durchlaucht, die Zenz ist fort."
„Fort?" fuhr der Fürst auf. „Wo ist sie denn?"
„In der Stadt," lautete die lakonische Antwort.
„Was? Du wolltest Dein Enkelkind ja den ganzen Winter hier in Rodeck behalten!"
„Das hat sich geändert," versetzte der Schloßverwalter mit unerschütterlicher Ruhe. „Jetzt ist nur noch meine Schwester, die alte Rest, daheim; wenn Sie mit der die Wohnung ausmessen wollen, Herr —es wird ihr eine große Ehre fein!"
Rojanow warf dem Alten einen nichts weniger als freundschaftlichen Blick zu, der junge Fürst aber sagte strafend:
„Höre, Stadinger, Du behandelst uns in einer ganz unverantwortlichen Weise. Jetzt nimmst Du uns sogar die Zenz fort, die einzige, die noch des Anschauens werth war. Was sonst von Weiblichkeit in Rodeck vorhanden ist, hat bereits die Sechzig hinter sich und wackelt mit den Köpfen, und die Küchendamen, die Du Dir zur Aushilfe von Fürstenstein hast kommen lassen, beleidigen nun vollends unseren Schönheitssinn."
„Durchlaucht brauchen sie ja nicht anzuschauen," meinte Stadinger. „Ich sorge schon dafür, daß die Mägde nicht in das Schloß kommen, aber wenn Durchlaucht selbst in die Küche gehen wie vorgestern -—"
„Nun, ich muß doch meine Dienerschaft bisweilen inspiciren! Uebrigens gehe ich nicht zum zweitenmal in die Küche, dafür hast Du gesorgt. Ich habe Dich im Verdacht, daß Du die sämmt- lichen Häßlichkeiten des ,Waldes' zur Feier meiner Ankunft hier versammelt hast, Du solltest Dich schämen, Stadinger!"
Der Alte sah seinem Herrn fest und scharf in die Augen und seine Stimme hatte einen sehr nachdrücklichen Klang, als er antwortete:
„Ich schäme mich gar nicht, Durchlaucht. Als der hochselige Fürst, Ihr Herr Vater, mir den Ruheposten hier gab, sagte er zu mir: ,Halte Ordnung in Rodeck, Stadinger, ich verlasse mich auf Dich!' Nun, ich habe Ordnung gehalten, zwölf Jahre lang, im Schlosse und in meinem Hause erst recht, und das werde ich auch in Zukunft thun. — Haben Durchlaucht sonst noch Befehle für mich?"
„Nein, Du alter Grobian!" rief der junge Fürst, halb lachend, halb ärgerlich. „Mach', daß Du fortkommst, wir brauchen keine Moralpredigten."
Stadinger gehorchte, er grüßte und marschirte ab. Rojanow blickte ihm nach und zuckte spöttisch die Achseln.
„Ich bewundere Deine Langmuth, Egon, Du gestattest Deinem Diener wirklich eine sehr weitgehende Freiheit."
„Ja, der Stadinger ist eine Ausnahme," erklärte Egon. „Der erlaubt sich schließlich alles und übrigens hat er gar nicht so unrecht, wenn er die Zenz fortschickt, ich glaube, ich hätte es an seiner Stelle auch gethan."
„Es ist aber nicht das erste Mal, daß dieser alte Schloßverwalter sich herausnimmt, Dich und mich förmlich zurechtzuweisen. Wenn ich sein Herr wäre — er hätte in der nächsten Stunde seine Entlassung."
„Das sollte ich einmal Prokuren, das würde mir übel bekommen!" lachte der junge Fürst. „Solch ein altes Familienerbstück, das schon der dritten Generation dient und einen als Kind auf den Armen getragen hat, will mit Hochachtung behandelt sein. Mit Befehlen und Verbieten richte ich da gar nichts aus,
Peter Stadinger thut doch, was er will, und liest mir auch-gelegentlich den Text, wenn es ihm gerade einfällt."
„Wenn Du es Dir gefallen läßt — mir ist so etwas unbegreiflich."
„Das kannst Du auch nicht begreifen, Hartmut," sagte Egon ernster. „Du kennst nur die sklavische Unterwürfigkeit der Dienerin Deiner Heimath und im Orient. Das kniet und beugt sich bei jeder Gelegenheit und bestiehlt und betrügt seinen Herrn, wo es nur weiß und kann. Stadinger ist von einer beneidens- werthen Grobheit, meine Durchlauchtigkeit schüchtert ihn nicht im mindesten ein, er sagt mir oft die ärgsten Dinge ins Gesicht, aber ich könnte Hunderttausende in seine Hände legen, es würde kein Pfennig davon veruntreut, und wenn Rodeck in Flammen stände und ich wäre drinnen, der Alte, mit seinen siebzig Jahren, ginge ohne sich zu besinnen mitten in das Feuer hinein — bei uns in Deutschland ist das eben anders."
„Ja, bei Euch in Deutschland!" wiederholte Hartmut langsam, und dabei verlor sich sein Blick träumerisch in das Waldesdunkel.
„Bist Du noch immer so dagegen eingenommen?" fragte Egon. „Es hat mich Ueberredung und Bitten genug gekostet, Dich zu bewegen, daß Du mir folgtest, Du wolltest ja durchaus den deutschen Boden nicht wieder betreten."
„Ich wollte auch, ich hätte es nicht gethan!" sagte Rojanow finster. „Du weißt -—"
„Daß hier allerlei bittere Erinnerungen für Dich wurzeln — ja, das hast Du mir gesagt, aber Du mußt doch damals noch ein Knabe gewesen sein, hast Du den alten Groll noch nicht überwunden? Du bist überhaupt in diesem Punkte von einer hartnäckigen Verschlossenheit, ich habe noch bis heute nicht erfahren, was es eigentlich gewesen ist, das Dich —"
„Egon, ich bitte Dich, laß das!" fiel ihm Hartmut schroff ins Wort. „Ich habe Dir ein für allemal erklärt, daß ich Dir darüber nicht Rede stehen kann und will. Wenn Du mir mißtraust, so laß mich gehen, ich habe mich Dir nicht aufgedrängt, das weißt Du, aber dies Fragen und Forschen ertrage ich nun einmal nicht."
Der stolze, rücksichtslose Ton, den er dem fürstlichen Freunde gegenüber anschlug, schien diesem nichts Neues zu sein, er zuckte nur die Achseln und sagte beschwichtigend:
„Wie gereizt Du wieder bist! Ich glaube, Du hast recht, wenn Du behauptest, die deutsche Luft mache Dich nervös, Du bist wie verwandelt, seit Du den Fuß auf diesen Boden gesetzt hast."
„Möglich! Ich fühle es ja selbst, daß ich Dich und mich quäle mit diesen Stimmungen, darum laß mich fort, Egon!"
„Ich werde mich hüten! Habe ich Dich darum mit so vieler Mühe eingefangen, um Dich nun wieder fliegen zu lassen? Daraus wird nichts, Hartmut, ich lasse Dich um keinen Preis los."
Die Worte klangen scherzhaft, aber Rojanow schien sie übel zu nehmen, seine Augen blitzten fast drohend auf, als er erwiderte:
„Und wenn ich nun fort will?"
„Dann halteich Dich so fest" — Egon legte mit einem uu endlich liebenswürdigen Ausdruck den Arm um die Schulter des Freundes — „und frage, ob dieser schlimme, starrsinnige Hartmut es verantworten kann, mich allein zu lassen. Fast zwei Jahre lang haben wir zusammen gelebt und Gefahr und Genuß getheilt wie zwei Brüder, und jetzt willst Du wieder in die Welt hinausstürmeu, ohne nach mir zu fragen? Gelte ich Dir so wenig?"
Es lag eine so warme, herzliche Bitte in den Worten, daß Rojanows Gereiztheit davor nicht standhielt. Seine Augen leuchteten auf mit einem Ausdruck, der verrieth, daß er die leidenschaftlich schwärmerische Neigung, die der junge Fürst ihm entgegen trug, ebenso leidenschaftlich erwiderte, wenn er auch in ihren: beiderseitigen Verhältnisse unbedingt der Herrschende war.
„Glaubst Du, daß ich einem anderen zuliebe nach Deutschland gegangen wäre?" fragte er leise. „Vergieb, Egon! Ich bin nun einmal eine unstete Natur, ich habe es nirgends lange ausgehalten an einem Orte, seit — seit meinen Knabenjahreu."
„So lerne es hier in meiner Heimath!" fiel Egon ein. „Ich bin eigens nach Rodeck gegangen, um sie Dir in ihrer ganzen Schönheit zu zeigen. Dieses alte Gemäuer, das sich so mitten im tiefen Forst eingenistet hat wie ein Märchenschloß, ist ein Stink Waldpoesie, wie Du sie bei keinem meiner anderen Schlösser