Die sieben Jahre der Gefangenschaft, beginnend mit Reuters Verhaftung im Oktober 1833, wirkten tief zerrüttend auf sein körperliches wie auf sein geistiges Leben. Unlust zu streng wissenschaftlicher Arbeit lähmte ihn, als er die Festung verließ, er war von tiefem Haß gegen viele Menschen und Dinge erfüllt, und es bedurfte langer Jahre der Genesung, bis er wieder zu jenem gemüth- und humorvollen Menschen wurde, der auch das Bitterste der Vergangenheit in heiterer Verklärung schaute und wiedergab. Diese Zeit der Genesung und Erstarkung ist es vor allem, die noch vielfach der Beleuchtung bedarf.
Als nach Reuters Entlassung von der Festung ein Versuch, die juristischen Studien wieder aufzunehmen, gescheitert war, wandte er sich der Landwirtschaft zu, und das war, wie der weitere Verlauf seines Lebens zeigt, zu seinem Heil. Die der Landwirtschaft gewidmete Zeit, die „Stromtid", die Jahre der stillen ländlichen Zurückgezogenheit, der grübelnden Betrachtung seiner selbst und anderer, des nahen Umganges mit einfachen, gutherzigen Menschen, von denen er selber viel Gutes empfing, haben unendlich viel dazu beigetragen, den Mann in ihm heranzubilden, der mit so tiefer Empfindung und zugleich so heiteren Sinnes dichten und schreiben konnte.
Den bei weitem größten Theil dieser Zeit verbrachte Reuter auf dem Landgute Thalberg bei seinem Freunde Fritz Peters, ihn nach seinem Belieben in der Wirtschaft unterstützend. War der Freund auf Reisen abwesend, so vertrat er ihn vollständig in Haus und Hof, und solchen Gelegenheiten verdanken wir die Briefe, die hier zunächst folgen. Es werden auch diejenigen Stellen wiedergegeben, die sich auf wirtschaftliche Dinge beziehen, denn einerseits zeigen sie uns den berühmten Dichter in dem ungewohnten Lichte eines praktisch tätigen Landwirtes, andererseits sind auch sie meist in humoristisches, echt Reutersches Gewand gekleidet.
Zum Verständniß des ersten Briefes schicken wir die folgenden Erläuterungen voraus:
Peters ist acht Jahre jünger als Reuter, damals 29 Jahre alt und zeitweilig mit seiner Frau in Berlin. Der „Feind" ist die Cholera. „Maus" ist der Spitzname einer der kleinen Töchter,' „Hanne" ein empfindsames, häufig kränkelndes Dienstmädchen; „Adam" der Hausarzt. „P." ist einziger Sohn, etwa ein Jahr alt, in welchem Frau Peters nach Art zärtlicher Mütter — und hiermit neckt Reuter sie — einen Engel zu erblicken glaubt, und der sich bis dahin in der That kräftig entwickelt hat.
„Thalberg, den 7. Oktober 1817.
Lieber Vater Papa Petersen!
Wunderschön ist nichts dagegen! Lonn8 vinrm! Die Besatzung der Festung hält sich tapfer, hält sich meistens den Feind durch Schreien vom Leibe; eben quiekt die Maus. Die Blessirte, die Hanne, ist durch Adams Kamillenthee und gekochtes und geschmortes Obst, durch Wassersuppe in jeglicher Gestalt glücklich wieder in Aktivität gekommen, das heißt in keine plötzliche, sondern in eine ganz allmähliche, so ziemlich alles vergessende Aktivität. P. der II., der Große, der Einzige, kurz wie Madame i will, vielleicht auch P. der Eugelländer (nicht Engländer), hat sich physisch wie moralisch sehr gebessert; das Kind sah bekanntlich nicht sowohl stets sehr übel und unschön aus, sondern schien es auch darauf anzulegen, durch ungebührliches nächtliches Herumtreiben und Straßenspektakel das Leben, wenigstens die Nächte seiner biedern Eltern zu verbittern, vorzüglich seiner edeln Mutter; jetzt ist es ganz verändert, auf seiner klaren Stirn steht mit klaren Worten geschrieben: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, und nicht allein, daß er selbst diese Ruhe mit Heroismus ansübt, er sucht auch seine Geschwister mit Fischbeinstäbchen 2 sehr zu beruhigen; auch, wie gesagt, mit seiner physischen Beschaffenheit ist eine große Veränderung vorgegangen, das unruhige braune, brennende Auge^ ist verschwunden, und aus einem Gesichtchen, dessen Rosen und Lilien vom Himmel stammen, blicken uns zwei klare, fromme, blaue Augen, wie ein Gruß des blauen, himmlischen Aethers, an; sein ins Bräunliche spielendes Haar hat sich in einer Nacht zu einem frommen Blond umgebleicht und
i „Madame" ist hier wie später immer Frau Peters. 2 Indem er damit nach ihnen schlägt. ^ Das Kind hatte in der That dunkle Augen und Haare.
fließt wie ein Sonnenstrahl auf dem kräuselnden Vach in lichten Locken auf die lieblich geschwellten Schulterblätter, zwischen denen sich plötzlich, wie durch Zauberschlag, ein paar rundliche Erhöhungen gebildet Habens etwa wie beim Böckchen an der Stirn, wenn's Hörner kriegt, aber unendlich viel reizender. Da stehen wir nun, wir armen unglücklichen Tröpfe, und bewundern dies liebliche Spiel einer überirdischen Natur: Großmama 2 schüttelt den Kopf und scheint unglücklich zu sein, daß ihr Enkel aus der Menschenart ausgeschlagen ist, Mutter Schulisch ^ sagt: ,Dat heff ick woll segt!' Adam will die Auswüchse operiren; Schoenermark,^ der aussieht wie die 7 Weisen Griechenlands zusammengenommen, sagt, indem er sein Heldenmaul ^ in Falten legt: ,Wenn der Junge ein Engel ist, dann ist's kein Mensch, und ist er ein Mensch, dann ist's kein Engel; es ist also alles Dummzeug; übrigens ist dies noch gar nichts, ich habe einmal einen mit 10 solchen Knoten gesehen? E. und A., ^ die beiden kleinen Menschenwürmer, sitzen hinterm Ofen und heulen, daß sich die Steine erbarmen mögten, über die unglückseligen Engelverpuppungs-Jdeen ihres Herrn Bruders; und ich habe in aller Stille das Staknetz, worin wir die Karauschen fingen, vor dem Schlafstubenfenster aufstellen lassen; man kann ja nicht wissen, der Junge kann's Burren? kriegen, und dann Adjes! —
Nun den Spaß bei Seite. Alle sind sehr wohl und der Junge ist die beiden letzten Nächte durchaus ruhig gewesen, er hat fast immerfort geschlafen, und so würde Madame einen bedeutenden Nebennutzen von ihrer Reise haben. Das Heu ist hinein (ich glaube 8 Fuder); die Rüben sind hinein und haben recht viel gebracht. Heute Mittag ist der Rappsweizen bei Seite. Es wird Dung aufs Grünfutter-Roggenland gefahren und ist heute mit dem Kartoffelaufnehmen mit 10 Mann angefangen; morgen mit 20. Auswärtige können wir nicht erhalten. Das Vieh ist gesund. Du siehst also, daß wir hier ganz gut aufgehoben sind und daß wir auch in der Wirtschaft weiter kommen. Nur daß die Kartoffeln so lange liegen, will mir nicht gefallen, denn wir haben ja auch noch die Runkeln; und daß der Roggen nicht vor dem Weizen besorgt werden konnte. Wir erwarten, daß Du uns den Tag Deiner Ankunft in Treptow meldest, damit wir des Abends um IOH '2 Uhr dorthin einen Wagen schicken können, oder sollen wir Dich von Neubrandenburg holen? Lebe wohl, mein bester Freund, und denke bei Deinen Herrlichkeiten Deines Eute^."
Zwei Jahre sind seitdem vergangen. Peters ist wieder mit seiner Frau abwesend und Reuter richtet den nachstehenden Brief an ihn:'
„Thalberg, den 15. Oktober 1849.
Lieber Fritz!
Zuerst bitte ich Dich, ein ernsthaft Gesicht zu schneiden, denn zuerst denke ich von Geschäften mit Dir zu reden. — Gestern habe ich Rechnung gehalten und alle Sachen, wie ich hoffe, zu Deiner Zufriedenheit abgemacht. Dann an Geister geschrieben und die 100 Thaler gegen Postschein abgesendet; darauf habe ich mich in Deinen Diensten den Sonntag Nachmittag auf meine eigene Hand recht plaisirlich gelangweilt, da ich nicht nach Tetzleben ^ gegangen bin, und heute habe ich einen unbefugten Eingriff in Deine Kasse und in Deine Rechte gewagt; in Deine Kasse, weil ich zu meinem eigenen Gebrauch 6 Thaler entnommen, in Deine Rechte, weil ich unberufen einen Brief erbrochen, der mir mit dein Poststempel Demmin von Schünemann herzurühren schien. Dies war denn auch so; er meldet, daß die Platten w. fertig seien, auch daß er das alte Eisen annehmen wolle, schreibt aber nur von 20 Sgr. — 1 Thaler pro Centner. Da nun wir (MrJ heißt, in diesem Briefe immer .Großmama und ich') nicht genau wissen, was für altes Eisen dahin geschickt werden soll; ferner in Erwägung des schlechten Preises; ferner in noch fernerer Erwägung der Zweckmäßigkeit einer schleunigen Aufstellung des Heerdes, und endlich in noch fernerer Erwägung, daß Du doch wohl noch hinlänglich über Winter nach Demmin
^ Ansätze zu Engelsflügeln. 2 M^er der Frau Peters, die bei ihrem Schwiegersöhne wohnte.' 2 . Me Frau, die^ znr Wartung ^ der Kinder angestellt war. ^ Wirthschafter in Thalberg. 5 ^ Soldat gewesen. 0 Die beiden Töchterchen. ? Fliegen mit den Engelsslngeln.
2 „Ente" - kindliche Anssprache des Namens „Reuter", der von den Kindern stets als „Onkel" angeredet wurde. 0 Nachbargnt, auf welchem damals Luise, Reuters spätere Frau, als Erzieherin thätig war.