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auch durch das Aufhören der Zufuhr von Sklaven die materielle Wohlfahrt der Länder des Sudans in entschiedener Weise bedroht, und sah sich doch Gordon selber veranlaßt, sein letztes Auftreten in Khartum, das ein so unglückliches Ende nahm, mit dem Widerruf aller früher gegen den Sklavenhandel erlassenen Verbote zu beginnen! Freilich ohne die hereinbrechende Katastrophe aufhalten zu können!
Heute ist das ganze große Gebiet im Süden des Sudans vom Westen bis zum Osten Afrikas ein großes Sklavenjagdgebiet, ebenso die großen, ehemals so dicht bevölkerten, jetzt auf große Strecken fast menschenleeren Landschaften an beiden Ufern des oberen Kongos bis zu den großen Seen Tanganjika und Njassa. Araber sind es, welche bis hierher vorgedrungen sind, ihre Stationen inmitten einer fleißigen und friedliebenden Bevölkerung errichtet Haben und mit Hilfe von Pulver und Blei ihre Verwüstungen in das ehedem gesegnete Land tragen konnten.
Nachtigal war Zeuge solcher Sklavenjagden und schildert uns haarsträubende Scenen, die sich bei der Einnahme und Nieder- brennung von Negerdörfern, bei dem Kampf mit den hoch in den Wipfeln der Bäume wohnenden Eingeborenen abspielten. Noch entsetzlicher fast sind die Schilderungen, welche der verdiente Living- stone von den Greueln entwirft, die zum Theil unter feinen Augen in dem südlicheren Seengebiet verübt wurden. Stanley fand auf seinen Reisen am Kongo in einem einzigen Lager von Sklavenjägern 2300 gefangene Weiber und Kinder, deren Väter und erwachsene Brüder todt in den niedergebrannten Dörfern zurückgelassen waren. Und dies war die Beute aus einem Bezirk, so groß nur wie Bayern und Württemberg zusammengenommen! In einem andern Lager war eine noch größere Zahl untergebracht und diese 5000 zum Theil völlig nutzlosen Geschöpfe, von denen vielleicht dreiviertel, jedenfalls die Hälfte auf dem Marsch zur Küste zu Grunde gehen mußten, hatten nicht weniger als 33 000 Opfer gekostet, ein weites, ehedem mit glücklichen Dörfern besätes Gefilde war nun der Verödung preisgegeben.
Als Wißmann im Jahre 1881 durch das Land der Basongo reiste, begegneten feinen Augen überall schöne Dörfer, deren Bewohner das Land ringsum mit umsichtigem Fleiß bestellten und mit kundiger Hand Zeuge, Töpferwaren, Eisengeräthe und Schnitzwerk aus Holz zu fertigen verstanden. Als er aber fünf Jahre später desselben Weges zog, waren die ausgedehnten Dörfer zerstört und verlassen und das ehedem so reiche Land so arm geworden, daß er 80 seiner Leute durch Hunger und Krankheiten infolge von Entbehrungen verlor.
An dem großen Njassasee hat die englische Mission in Verbindung mit der großen englischen Afrikanischen Seen-Gesellschaft den Versuch gemacht, die Bevölkerung für die Gesittung und das Christenthum zu gewinnen. Aber wie anderwärts vernichteten die auch hierher dringenden Araber mit der Bevölkerung alle bislang geleistete Arbeit. Ein kriegerischer Raubzug zerstörte die Dörfer, schlachtete die Widerstand Leistenden ab und führte den Rest als Gefangene fort, um das von jenen Arabern eingehandelte Elfenbein zur Küste zu tragen. Ein Augenzeuge schilderte uns den Zug der 3000 Köpfe zählenden Karawane des mächtigen Händlers Kabunda:
„Zuerst kamen die Waffenträger, tanzend, gestikulierend und ihre Flinten in die Luft werfend und wiederfangend, wie nur Araber es thun können, zum Klang von Trommeln, Pfeifen und anderen weniger musikalischen Instrumenten. Dann folgte langsam und gemessen der große Mann selber in weißem goldgestickten Gewand, seidenem Turban, Schwert und Dolch reich mit Silber verziert, begleitet von seinem Bruder und anderen Häuptlingen, während sein prächtig aufgeschirrter Esel nebenher ging. Nun kamen die Frauen und Dienerinnen, lachend und scherzend, mit dem Hausgeräth und manchem Gut ihrer Herren, und auf diese folgte die eigentliche Karawane selber, bewacht von wildblickenden Männern mit Flinten, Speeren und Aexten. Von den unglücklichen Gefangenen waren die starken Männer, von denen man sich vielleicht nichts Gutes versah oder um sie am Weglaufen zu verhindern, in die schreckliche Sklavengabel* gespannt, ihre Hände auch wohl
* Die „Gartenlaube" hat im Jahrgang 1889, Seite 753 ein Bild gebracht, nach welchem man sich diese Art der Fesselung veranschaulichen kann.
an dieselbe gebunden, alle aber mit schweren Halsringen und Ketten beladen und zu Zehn oder Zwölf aneinander gefesselt. Oft mußte eine schwerbeladene Mutter noch das ganz junge oder ermüdete Kind tragen, nicht selten wohl brach sie unter der doppelten Last zusammen und Speer und Axt sorgten dafür, daß das nothgedrungen zurückgelassene Eigenthum keinem andern in die Hände fiel. Das schauerliche nächtliche Geheul der Hyänen, welche der Spur des Zugs folgten, verkündete nur zu deutlich das Folgende."
Nicht immer aber endet Kugel, Speer oder Schwert die Leiden des zusammenbrechenden Sklaven; das ist noch ein mildes Verfahren! Nm^ zu oft siegt die barbarische Lust an menschlicher Qual über die Habgier, und der Unglückliche wird mittels der Sklavengabel in aufrechter Stellung an einem Baum festgemacht und so einem Todeskampfe überlassen, schmerzlicher, weil länger als Kreuzigung oder Pfählen.
Stanley hat aus seinem Zuge zur Befreiung Emin Paschas den alten Sklavenhändler Tippu-Tip gegen ein Jahresgehalt dafür gewonnen, das Amt eines Gouverneurs am oberen Kongo zu übernehmen. Wißmann erzählt uns, wie er das Lager Sayols, eines der Offiziere dieses Arabers, besuchte. Bei seinem Eintritt sah er fünfzig rechte Hände an Balken genagelt und Flintenschüsse bezeugten, daß Sayol sich damit vergnügte, an seinen Gefangenen als Zielscheibe Schießübungen zu machen, ehe dieselben geschlachtet und zertheilt wurden, um Tippu-Tips Hilfstruppen vom Lomami als Festmahl zu dienen. Das war, ehe der Araber jene Gouverneursstelle annahm, daß es aber seit jener Zeit nicht viel besser geworden ist, bezeugen uns die Offiziere des Kongostaats selber.
Doch genug und übergenug der Greuel! Das Schlimmste, das Unaussprechbare ist dabei noch nicht gesagt. Kann und darf das so bleiben? Können christliche Nationen, welche jetzt Anspruch auf große Theile Afrikas erheben, es dulden, daß Scheußlichkeiten, wie die Welt sie nie schlimmer kannte, gewissermaßen unter ihrem Schutze weiter verübt werden? Sicherlich nein und abermals nein! Aber wie soll man sie verhindern? Wie soll dem vvrgebeugt werden, daß Afrika jährlich an zwei Millionen seiner Kinder verliert, und zwar auf die unmenschlichste, grauenhafteste Weise verliert?
Findet sich kein Käufer, so wird auch keine Ware angebracht werden. Den Sklavenhandel im Innern freilich können wir nicht beseitigen, noch auch die Sklaverei ersticken, welche in den Anschauungen der Afrikaner so fest begründet ist. Ihre Entfernung ist eine Frage der Zeit, sie wird mit dem Eindringen unserer Kultur, mit der Verbreitung des Christenthums verschwinden, wenn auch erst nach langer Zeit, und inzwischen sind die Schrecken, die ihr anhaften, die geringeren.
Dem Sklavenhandel aber, welcher den Weg zur Küste nimmt, um von dort aus seine unglücklichen Opfer übers Meer nach dem mohammedanischen Asien und dem Norden Afrikas sortzu- führen, können und müssen wir unbedingt ein Ende machen. Die Meeresränder an der Ostseite sind jetzt in den Händen Portugals, Deutschlands, Frankreichs, Englands und Italiens. Verbinden sich diese fünf Mächte zu einmüthigem, gemeinsamem und zweckentsprechendem Handeln, so wird die Ausfuhr von Sklaven sehr bald unmöglich. Noch hat der Sultan von Sansibar das Recht, Neger von der afrikanischen Küste in seine Besitzungen auf den Inseln und an der Küste zu schaffen, und diese Vergünstigung öffnet dem Sklavenhandel Thür und Thor. Sie muß ihm genommen werden. Dann wird es ausführbar sein, mit solchen Maßregeln, wie Portugal sie der in Brüssel versammelten Konferenz vorgeschlagen hat, durch eine sorgsame Ueberwachung der Küste nach jetzt ja möglicher Kontrolle der ostafrikanischen Hafenplätze dem Sklavenhandel in ähnlicher Weise ein Ende zu machen, wie das an der Westküste geschehen ist. Ohne Zweifel wird das viel Geld, viele Arbeit und auch manches uns werthe Menschenleben kosten. Aber Deutschland und ebenso alle anderen genannten europäischen Mächte haben mit der Besitzergreifung afrikanischen Bodens und der Erklärung der Schutzherrschaft über die daselbst wohnenden Völker auch Pflichten übernommen. Oder wäre das eine Schutzherrschaft, welche fremden Eindringlingen erlaubt, die ihrer Hut Empfohlenen in grausamster Weise zu mißhandeln, der Freiheit zu berauben, hinzumorden?