Heft 
(1890) 14
Seite
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Mittelalter. In den Visionspoesieen dieser Zeit erblicken wir die Seelen" im Fegefeuer rein körperliche Strafen erduldend. Die Seele muß wandern und leiden und kann nach ihrer Rückkehr in den Körper ihre Erlebnisse erzählen. Um Eindruck zu machen, schildert sie oft mit einer entsetzenerregenden Phantasie. Diese materialistische Weltanschauung mußte zu einer gänzlichen Ver­kehrung des Gefühls hinleiten. Waren eben die körperlichen Leiden derSeele" im Fegefeuer so furchtbar, dann war es Gnade und Barmherzigkeit, nicht Grausamkeit, wenn man die armen Sünder mit dem Aufgebote allen Scharfsinnes recht lange folterte und langsam zu Tode peinigte, um sie womöglich noch zum Bekenntniß ihrer Schuld zu bringen. Hier litt der Körper nur Tage und Stunden, dort die Seele Ewigkeiten. Gab man ihr auf dem Schaffot unter Schmerzen Zeit zur Bekehrung, so schützte man sie vor Jahrtausenden von größeren Schmerzen. Schrecklicher ist vielleicht nie in Deutschland verfahren worden, als beim Hexenprozeß in Würzburg und doch war der Bischof Julius Echter von Mespelbrunn (1575 bis 1617), mit dem diese grausige Epoche begann, die vielen Tausenden den qualvollsten Tod brachte, ein Mensch, der ein Herz für Leidende hatte. Das berühmte Juliusspital, das er gestiftet hat, schafft noch heute Segen und Hilfe.

Die materialistische Form des Seelenglaubens bevölkerte die ganze Welt mit Wesen, die zum Theil zu Göttern emporwuchsen.

Die unheimliche Fluth ist es besonders, welche die Phantasie gereizt hat, schon Jahrtausende früher, ehe Poseidon den Dulder Odysseus auf ihr umhertrieb. Uralt ist die Sitte, daß man einen Menschen ins Wasser wirft, um die gefräßige See zu befriedigen. Man kennt die Geschichte von Jonas, und ein Walfisch, der den Unglücklichen etliche Tage in seinem Magen beherbergte und dann unverdaut und wohlbehalten dem Lande übergab, war leider nicht immer bei der Hand. Wir sprechen noch von dergefräßigen" See. Nach dem Glauben der Neuseeländer sind es gefräßige übernatür­liche Ungeheuer, welche die Ertrinkenden verschlingen. Bei den Siamesen ziehen diePnük", Wassergeister, die Badenden in ihre unterseeischen Wohnungen hinab wie bei den Slaven der Topielec. Im Mummelsee im Schwarzwald lebte nach der Sage ein Wasser­mann, der sich die Seelen der Ertrunkenen einfing und in Töpfen ausbewahrte, bis ein Bauer sie befreite. Ganz dieselbe Sage geht im Süden von Irland, wo der Meermann Coomeara die Töpfe voll Seelen dem Fischer Jack Dogherty als seineenriomtis^, seine Merkwürdigkeiten", zeigte. Der wackere Ire trank den Meermann unter den Tisch undin Ire rvent nnä tnrnsä nx Uro xot8, 6nt notllinZ dick 1i6 866, onl^ tionrcl u 8ort ol 9 111116 rv1ii8tl6 on eliir-p U8 Ii6 1 - 9 , 186(1 69<4i ol 11i6iill',er trat ein und drehte die Töpfe um, sah aber nichts, nur hörte er eine Art von leisem Pfeifen oder Zirpen bei jedem, den er aufhob." Also auch hier war die Seele zwar unsichtbar, aber greifbar und hörbar gedacht.

Unfreundlicher gestaltet sich die Vorstellung, sobald sich der Begriff des Opfers einmischt.Es rast der See und will sein Opfer haben", folglich ist es unrecht, ihm dasselbe zu entreißen. So wagten nach einem Berichte aus dem Jahre 1864 böhmische Fischer nicht, einen Ertrinkenden zu retten, aus Furcht, der Wasser­geist entzöge ihnen dann das Glück beim Fischen.

Wie tief dieser Glaube auch noch heute in Deutschland haftet, mag ein Beispiel aus dem Jahre 1884 beweisen. Auf dem Zierker See bei Neustrelitz brach ein allgemein beliebter junger Offizier im Eise ein und ertrank. Sein schlichtes und außer­gewöhnlich liebenswürdiges Wesen hatte ihm die Liebe auch der unteren Kreise gewonnen. In diesen verbreitete sich das Gerücht, Leute auf der Feldmark Lindenberg hätten seine Hilferufe gehört, aber in dem Aberglauben, Ertrinkenden dürfe man nicht helfen, keine Hand gerührt. Das Gerücht stellte sich allerdings als un­wahr heraus, aber die Thatsache, daß es plötzlich aufgetaucht war, beweist, welcher Gedanke sich hinter der jährlich wiederkehrenden Redensartder Zierker See will sein Opfer haben" verbirgt.

Wie das Wasser, so forderte auch bis in die Tage unserer Kultur das Landsein Opfer", wenn ein Schiff strandete oder einem Frachtwagen die Räder brachen, so daß er den Boden be­rührte. Das Strandrecht,die Grundruhr", welches sich aus dieser religiösen Vorstellung entwickelte, galt nicht nur an der West- und Ostsee, sondern auch in Mittel- und Süddeutschland.

Auch das Feuer wird als gefräßiges Ungeheuer gedacht. In Tirol und in der Schweiz wird das Herdfeuer an bestimmten

Tagen mit Kuchen und Broten gefüttert, damit es nicht in Zornes- wuth ausbreche. Sehr bezeichnend ist der Ausdruck, den am Ende des 15. Jahrhunderts der Rostocker Humanist Nikolaus Marschalk von den Juden gebrauchte, welche religiöser Fanatismus wegen wirklicher oder angeblicher Marterung einer Hostie auf den Scheiterhaufen brachte. Sie sind," schreibt er,dem Vulkan (dem Gott des Feuers) geopfert."

Daß die ältere Zeit sich die Pest als altes Weib oder den Tod als einen Knochenmann versinnlichte, ist bekannt. Neuerdings ist diese überlebte Vorstellung in Korfu wieder aufgewacht. Ein Schiffer wollte absegeln, als sich ein skelettartig mageres altes Weib, vor dem jedem grauste, an Bord drängte. Auf hoher See aber trat plötzlich ein Mönch, dessen Kommen niemand bemerkt hatte, mit erhobenem Kruzifix bannend auf die Megäre hinzu. Scheu entsetzt wich die häßliche Alte zurück und weiter zurück, bis sie über Bord stürzte. Als die Fluth sich über ihr geschlossen hatte, war der Mönch verschwunden. Seine Züge aber hatten sich dem frommen Kapitän deutlich eingeprägt. Im Hafen von Korfu angelangt, erkannte er beim nächsten Kirchgang seinen Mönch wieder im Bilde des heiligen Spiridion das gebannte Weib aber war niemand anders als die Influenza. Jede Krankheit ist nach der Auffassung niederer Kultur in letzter Linie die Wirkung eines bösen Geistes oder bei höher entwickelten Völkern der Quintessenz aller bösen Geister, des Teufels.

Ich suche Zuflucht bei Allah vor Satan dem Verfluchten," muß der Mohammedaner sagen, wenn er gähnt, wobei er die linke Hand mit ihrem Rücken vor den Mund hält, denn durch diesen Pflegt der Teufel einzuschlüpfen. Daß dieser Glaube auch in Deutschland einst herrschte, beweist die lange Litteratur über Hexen und Besessene. Der äußerliche Rest dieser Sitte hat sich in dem Gebrauche, beim Gähnen die Hand vor den Mund zu halten, noch aufbewahrt. Daß das Anstandsgefühl nicht das Schöpferische in der Sitte war, beweist, daß ganz dieselbe Sitte bei den Zulukaffern besteht, die doch KniggesUmgang mit Menschen" gewiß nicht gelesen haben.

Das Bezeichnende aller dieser Vorstellungen liegt in der stofflichen, körperlichen Auffassung von der Seele und deren mystischer Uebertragung auf unbelebte Wesen. Ganz zu der niedrigen Anschauungsstufe der Steinzeit kehrt der neue und alte Spiritismus zurück. DieSpirits" klopfen, werfen, lesen und schreiben. Johannes Trojan hat in seinen Scherzgedichten humor­voll geschildert, wie er sich den dritten Mann zum Skat aus der vierten Dimension herbeiruft:

Und die Karten flogen Unsichtbar im Bogen

Auf den Tisch und Spiel folgt nun auf Spiel.

Doch im Lauf des Spieles Zeigte sich gar vieles,

Was uns als Teilhabern nicht gefiel.

,Grand mit Vierw gewinnt er,

Als wir zwei dahinter Kommen, daß nicht alles richtig war.

Nicht mit rechten Dingen Könnt' ihm das gelingen,

Daß der Spirit mogelt, ward uns klar."

Wir haben hier im Scherze das Gebiet der Poesie betreten: hier liegt das Feld, wo sich die traurige Wirklichkeit der Ueber- lebsel verklärt zu Sage und Dichtung. Haben wir die finstere Seite nicht vergessen, auf welche der Rückfall in überlebte Welt­anschauungen führt, so sei hier zum Schluffe auf sie als Urquell unserer schönsten Poesien hingewiesen. Unvergleichlich schön sind die Wanderungen in die Unterwelt im Homer und ergreifen uns noch heute in Jordans edlem Epos, inHildebrants Heimkehr". Erst nachdem Goethes Mephistopheles unter jubelndem Beifall über die Schaubühne geschritten, war die Gefahr des Hexen­prozesses, der noch zu Goethes Lebzeiten Opfer forderte, endgültig beseitigt. Verklärt und gereinigt, hat die Seelenübertragung vorn Menschen auf leblose Gegenstände unsterbliche Lieder wie das Heidenröslein" und denFichtenbaum" geschaffen. Denn viele Wanderungen mußte der kindlich suchende Menschengeist durchlaufen und fand sich weit vom Ziele. Er suchte nach Wahrheit, er suchte nach Licht. Unzählige haben die Irrwege in Qual und Tod ge­führt, bis die Zeit herankam, wo man das Wort verstehen lernte:Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, sollen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten."